Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cyber City

Cyber City

Titel: Cyber City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
Vom Netzwerk:
vielen anderen Gesichtspunkten ihres sozialen Verhaltens –, daß die Lambertianer niemals Grund gehabt hatten, eine davon unabhängige Alternative zu entwickeln.
    Die einzelnen Individuen waren dennoch weit davon entfernt, kein eigenes Bewußtsein zu haben. Sie waren sich voll ihrer Rechte bewußt; zwar wurden viele Aufgaben von Gemeinschaften übernommen, aber das schloß ein kollektives Bewußtsein aus. Die Sprache der Individuen – Geräusche, Gesten, Düfte – war viel einfacher als die Tanzsprache der Gemeinschaften, aber sie reichte trotzdem, um die meisten Konzepte der menschlichen Vor-Schriftlichen Epoche auszudrücken: Pläne, Erfahrungen der Vergangenheit, die Lebensweisen anderer.
    Und lambertianische Individuen sprachen über den individuellen Tod. Sie wußten, daß sie am Ende ihres Lebens sterben würden.
    Maria suchte in der Literatur nach Hinweisen, wie sie mit ihrer Sterblichkeit umgingen. Die Körper blieben liegen, wo sie fielen; es gab keine Rituale, um das Ereignis hervorzuheben und keinerlei Beweise für etwas wie Trauer. Es gab keine deutlichen Analogien für irgendeine menschenähnliche Emotion – nicht einmal physischen Schmerz. Wenn sie sich verletzt hatten, waren sie sich dieser Tatsache in aller Deutlichkeit bewußt und unternahmen Schritte, um den persönlichen Schaden zu minimieren – aber das geschah eher auf einer spezifisch instinktiven Ebene als auf der Grundlage der weit gestreuten biochemischen Veränderungen des menschlichen Gemütszustandes. Das lambertianische Nervensystem war »dichter gepackt« als das menschliche, es gab keine Regionen in ihrem Gehirn, die von großen Dosen endogener Stimulanzien oder Depressiva überflutet wurden – die Botschaften wurden nur innerhalb der umgebenden Synapsen übermittelt.
    Keine Trauer. Kein Schmerz. Kein Glücklichsein? Maria schreckte vor der Frage zurück. Die Lambertianer besaßen ihr eigenes Spektrum von Gedanken und Verhalten, und jeder Versuch, es in menschlichen Begriffen wiederzugeben, würde genauso falsch sein wie die Farben der Atome des Autoversums.
    Je mehr sie lernte, desto mehr schien ihre Rolle bei der Schöpfung der Lambertianer in die Bedeutungslosigkeit zu versinken. Die Feinabstimmung ihres einzelligen Vorfahren war Maria als eine Angelegenheit von allergrößter Bedeutung erschienen, damals – und wenn es nur gewesen war, um die Skeptiker davon zu überzeugen, daß das Leben im Autoversum blühen konnte. Heute – obwohl einige ihrer biochemischen Kunstgriffe über drei Milliarden Jahre der Evolution hinweg erhalten geblieben waren – fiel es Maria schwer, in ihrer damaligen Auswahl von Merkmalen auch nur die geringste Bedeutung zu erkennen. Obwohl die gesamte lambertianische Biosphäre sich vielleicht vollkommen anders entwickelt hätte, wenn sie A. hydrophila ein einziges anderes Enzym mitgegeben hätte, konnte sie von den Lambertianern nicht als aus ihren Experimenten hervorgegangenen Wesen denken. Die Entscheidungen von damals hatten das Geschehen kontrolliert, welches sie auf dem Schirm beobachtete, nicht mehr; hätte sie andere Entscheidungen gefällt, würde sie eine andere Biosphäre, eine andere Zivilisation vorgefunden haben – aber sie konnte sich nicht vorstellen, daß die Lambertianer nicht genau die gleichen Leben gelebt hätten, wenn sie nicht gewesen wäre. Irgendwie würden sie einen Weg gefunden haben, sich selbst aus dem Staub zusammenzusetzen.
    Wenn das stimmte – wenn die ihrer Erfahrung innewohnende Logik ihre Existenz verursachen konnte –, dann gab es keinen Grund anzunehmen, daß sie je gezwungen sein könnten, ihr Universum als von einem Schöpfer geschaffen zu erklären.
    Sie versuchte, ihre wachsenden Bedenken mit dem Optimismus der Kontaktgruppe in Einklang zu bringen. Sie hatten die Lambertianer seit Jahrtausenden studiert – wer war sie, ihre Kompetenz anzuzweifeln? Dann fiel ihr ein, daß Durham und seine Kollegen vielleicht entschieden haben könnten, ihre Befriedigung über die politische Entscheidung nur vorzutäuschen, bis sie wußten, welchen Standpunkt Maria in dieser Angelegenheit beziehen würde. Bis sie unabhängig zu den gleichen Schlußfolgerungen kommen würde wie sie? Vielleicht hatte Durham vermutet, daß sie sich gesträubt hätte, wenn er sie bedrängt und von seinem Standpunkt zu überzeugen versucht hätte; es wäre viel geschickter, sie in Ruhe zu lassen, bis sie sich ihre Meinung alleine gebildet hatte – und vielleicht sogar ein wenig die

Weitere Kostenlose Bücher