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Cyber City

Cyber City

Titel: Cyber City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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Pauls Ernüchterung setzte selbst dann nicht ein, als der allgemeine Jubel verrauscht war und man die immensen Kosten dieses ersten, so entmutigenden Versuchs bedachte. Paul Durham, ein echtes Kind des dritten Jahrtausends, begrüßte den Fortschritt mit offenen Armen, ohne sich von den damit verbundenen Problemen abschrecken zu lassen.
    Je länger er über das nachdachte, was Vines da vollbracht hatte, desto aberwitziger erschienen ihm die sich daraus ergebenden Konsequenzen.
    Dem Experiment folgten hitzige öffentliche Debatten, die aber erschreckend oberflächlich blieben. Jahrzehnte alte Argumente wurden ausgegraben: Ob ein Computerprogramm denn jemals etwas mit einem Menschen gemein haben könne – psychologisch, moralisch, metaphysisch oder auch schlicht informationstheoretisch … ob man bei einer Kopie überhaupt von Intelligenz oder Bewußtsein sprechen könne …? Immer mehr Wissenschaftlern gelang es, Vines' Experiment nachzuvollziehen, und man hatte erstmals Gelegenheit, den Turing-Test auf Kopien anzuwenden: Keiner der Experten, die im Blindversuch eine Reihe von Kopien und Menschen studiert hatten (wobei man eingespielte Videoaufnahmen benutzte, um den langsameren Zeittakt der Simulationen zu verschleiern), konnte am Ende sagen, wer nun was war. Nach Meinung einiger Philosophen und Psychologen war damit jedoch nichts anderes bewiesen, als daß man auch Bewußtsein »simulieren« könne – ergo handelte es sich bei Kopien um Programme, die ein nicht existierendes Seelenleben dreist vortäuschten.
    Kompromißlose Anhänger der Künstlichen-Intelligenz-Hypothese vertraten den Standpunkt, daß Bewußtsein nichts anderes war als das Vorhandensein bestimmter Algorithmen – eine Konsequenz aus der Art und Weise der Informationsverarbeitung, ganz gleich, welche »Maschine« man dazu benutzte. Ein Computermodell, das Informationen über sich selbst und seine »Umgebung« auf ähnliche Weise wie das Gehirn eines lebenden Organismus verarbeitete, mußte sich auch in einer ähnlichen »geistigen« Verfassung befinden. Von »simuliertem« Bewußtsein zu reden, wäre ein Widerspruch in sich und etwa so schlau, als wolle man einem einfachen Taschenrechner unterstellen, daß er seine Additionen und Subtraktionen lediglich »simuliere«.
    Die andere Seite hielt dagegen, daß noch niemand von einem simulierten Hurrikan herumgewirbelt worden wäre; noch nie hätte das Modell eines Fusionsreaktors Strom produziert noch könne man darauf hoffen, daß irgendwann und irgendwie in einem simulierten Verdauungstrakt eine Verdauung stattfände. Warum also sollte das Modell eines menschlichen Gehirns echte Gedanken produzieren? Der Computer, der eine Kopie steuerte, mochte wohl in der Lage sein, eine Reihe vernünftiger Konzepte für das Verhalten eines Menschen in bestimmten Situationen zu entwickeln – und auf dieser Grundlage auch eine Konversation zu führen, indem er präzise ableitete, was ein Mensch an seiner Stelle sagen würde: Aber mit Bewußtsein hätte das alles nichts zu tun.
    Paul war sehr bald zu dem Schluß gekommen, daß die Debatte unnütz war und vom Kern der Sache ablenkte. Für einen Menschen, jeden Menschen war es unmöglich, zu beweisen, ob eine Kopie über Bewußtsein verfügte oder nicht. Für die Kopie selbst lag es auf der Hand: Cogito ergo sum. Basta!
    Für jemanden, der einer Kopie bereitwillig jenen Grad an Bewußtsein zubilligte, den auch seine Mitmenschen besaßen – oder eine Kopie, die umgekehrt der gleichen Meinung war –, mußte es genaugenommen nur auf das eine ankommen:
    Es gab Fragen über die Natur dieses gemeinsamen Phänomens, die allein durch die Existenz der Kopien mehr als je zuvor grell beleuchtet wurden. Fragen, auf die Antworten gefunden werden mußten, bevor die Menschheit vertrauensvoll ihr kulturelles Erbe und alles, was das Menschsein ausmachte, in die Hände derer geben konnte, die nach ihr kamen.
    Fragen, die nur eine Kopie beantworten konnte.
     
    Paul saß in seinem Arbeitszimmer auf seinem Lieblingsstuhl mit den Armlehnen (keineswegs überzeugt, daß die Maserung des Holzes akkurat wiedergegeben war), und versuchte sich – so gut es ging – damit zu trösten, daß es unnötig, ja, absurd war, Angst zu haben. Was hatte er von diesem Experiment mit sich selbst zu befürchten? Die »Verwandlung« eines Menschen aus Fleisch und Blut in ein Computermodell, das seinen Körper nur simulierte, hatte er doch »überlebt« – den ersten und gewagtesten Schritt des ganzen

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