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Cyber City

Cyber City

Titel: Cyber City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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Projekts. Dagegen war das Herumspielen an einzelnen Parametern des Modells trivial.
    Durham erschien auf dem Schirm – der noch immer nicht von innen nach außen funktionierte. Paul merkte, wie er langsam begann, ihn als wichtigtuerischen, hinter der Glasscheibe gefangenen Dschinn zu sehen – statt als einen allmächtigen Gott, Herrn dieser Welt, der hinter den Kulissen an den Fäden zog. Schon das hohe Zwitschern, wenn er redete, ließ jede Aura von Macht und Größe verblassen.
    Zschwitt. »Experiment Nummer eins: Grundlinienbestimmung. Zeitauflösung eine Millisekunde – Systemstandard. Zähl bis zehn, in Abständen von je einer Sekunde – so gut dein Zeitgefühl erlaubt. Okay?«
    »Das wird schon gehen.« Alles das hatte er selbst geplant, er mußte nicht erst häppchenweise instruiert werden. Durhams Gesicht verschwand – eine Voraussetzung des Experiments war, daß ihm auch der versteckteste Hinweis auf den wahren Zeitablauf vorenthalten wurde.
    Paul zählte bis zehn. Der Dschinn erschien wieder auf dem Schirm. Dieses Gesicht … Paul war mit einem Mal klar, daß er nicht eine Sekunde lang bereit war zu glauben, daß es »sein« Gesicht sein könne. Das hing möglicherweise damit zusammen, daß er sich von allen seinen früheren Kopien hatte distanzieren müssen, um erfolgreich zu sein. Wenn es überhaupt je ein Gesicht gegeben hatte, mit dem er sich identifizierte: Vielleicht waren seine Vorstellung von sich und sein Äußeres schon immer zwei verschiedene Dinge gewesen – die sich jetzt, durchaus im Interesse seiner geistigen Gesundheit, immer mehr voneinander entfernten.
    Zschwitt. »Okay. Experiment Nummer eins, erster Versuch. Zeitauflösung fünf Millisekunden. Bist du bereit?«
    »Ja.«
    Der Dschinn verschwand. Paul zählte: »Eins … Zwei … Drei … Vier … Fünf … Sechs … Sieben … Acht … Neun … Zehn.«
    Zschwitt. »Irgend etwas Besonderes?«
    »Nein. Na ja … ich habe ein ungutes Gefühl. Die Vorstellung, daß du an meiner … internen Struktur herumspielst … Aber davon abgesehen: nein.«
    Durhams Gesicht zeigte jetzt nicht mehr diesen leicht gequälten Ausdruck, während er auf eine Antwort wartete, die erst aufgezeichnet und dann mit höherer Geschwindigkeit abgespielt werden mußte. Entweder hatte er gelernt, sich besser zu beherrschen, oder – weit wahrscheinlicher – er benutzte eine Softwaremaske, die seine Langeweile vor ihm verbarg.
    Zschwitt. »Mach dir keine Gedanken. Vergiß nicht, es ist ein Kontrollversuch!«
    Daran wäre Paul lieber nicht erinnert worden. Er wußte, daß Durham eine Zweitversion von ihm angefertigt hatte und mit beiden Kopien identische Testreihen durchführen würde – nur mit unterschiedlicher Zeitauflösung. Das war ein wesentlicher Bestandteil des Experiments. Paul hatte den Gedanken verdrängt, so gut er konnte. Sich auch noch mit der Existenz eines dritten Selbst auseinanderzusetzen, das auf die gleiche Weise dachte wie er war mehr, als er in seiner Lage verkraften konnte.
    Zschwitt. »Zweiter Versuch. Zeitauflösung zehn Millisekunden.«
    Paul zählte. Eigentlich das Einfachste auf der Welt, dachte er … wenn man ein Wesen aus Fleisch und Blut war, aus Materie bestand und die Elektronen und Quarks den Naturgesetzen gehorchten. Menschen bestanden in letzter Konsequenz aus Fundamentalteilchen, die immer gleichen Wechselwirkungen unterlagen. Kopien, das waren Daten – riesige Anhäufungen von Zahlen in Computerspeichern. Zahlen, die man sehr wohl als einen Menschen, in einem Zimmer sitzend, interpretieren konnte – oder als etwas anderes. Die Interpretation war nicht zwingend, tausend und abertausend willkürliche Entscheidungen waren beim Programmieren des Modells getroffen worden. Diese Zahl hier … steht sie für meinen Blutzucker … oder vielleicht den Testosteronspiegel? Ist dies die Impulsfolge eines motorischen Neurons, während ich die rechte Hand hebe … oder ein Signal meiner Netzhaut, während ich mir dabei zusehe? Jemand, der die Rohdaten ohne den Schlüssel für die Zuordnung sichtete, konnte ein Leben lang in diesem Berg aus Zahlen wühlen, ohne je herauszufinden, welche Bedeutung sie hatten.
    Und doch fügte sich für eine Kopie, die unter diesem Wust förmlich begraben war – ob sie die Details kannte oder nicht –, Zahl um Zahl zu einem sinnvollen Ganzen zusammen.
    Zschwitt. »Dritter Versuch. Zeitauflösung zwanzig Millisekunden.«
    »Eins … Zwei … Drei …«
    Zeit, das war für eine Kopie die Änderung dieser

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