Cyber City
könnten beide eine Pause vertragen. Ich werde deine Datenverbindung nach draußen wiederherstellen – allerdings nur für ankommende Daten.« Er drehte sich um, reckte einen Arm aus dem Blickfeld des Monitors. Man hörte die Tasten eines zweiten Terminals klicken.
Dann wandte er sich wieder der Kamera zu, lächelte – und Paul wußte, was er als nächstes sagen würde.
Zschwitt. »Übrigens, ich habe gerade einen von euch gelöscht. Ich kann es mir nicht leisten, euch beide zu betreiben, wenn es nichts für euch zu tun gibt.«
Paul lächelte zurück, obwohl etwas in ihm am liebsten laut aufgeschrien hätte. »Welchen von uns hast du gelöscht?«
Zschwitt. »Was spielt das für eine Rolle? Ich sagte dir schon, ihr wart identisch. Und du bist noch da, oder? Wer immer du bist … wer immer du warst.«
Drei Wochen waren seit dem Scan draußen vergangen, aber Paul brauchte nicht lange, um sich auf den neuesten Stand des Weltgeschehens zu bringen. Die Details erledigten sich durch den Fortgang der Ereignisse meist von selbst, und was zunächst durch jähes Auf und Ab für Spannung sorgte, lief auf längere Sicht auf einen eher langweiligen Mittelwert hinaus. Ein Krieg zwischen Israel und Palästina, die sich gegenseitig Vertragsverletzungen bezüglich der Wasserrechte vorwarfen, war mit knapper Not vermieden worden; eine Armee von Friedensdemonstranten aus beiden Ländern, mehr als eine Million Menschen, hatte sich auf jener Ebene aus geschmolzenem Sand versammelt, wo einmal Jerusalem gestanden hatte, und beide Regierungen beugten sich dem Druck. Der frühere US-Präsident Martin Sandover hatte noch immer alle Hände voll zu tun, um seine Auslieferung nach Palau abzuwehren, wo ihn eine Anklage wegen seiner Rolle in dem blutigen Staatsstreich von 2035 erwartete; das Oberste Bundesgericht war nun doch von der lange für unumstößlich gehaltenen Auffassung abgewichen, wonach dem Präsidenten Immunität gegenüber exterritorialer Rechtsprechung zuzubilligen sei. Ein oder zwei Tage lang sah alles recht vielversprechend aus – bis seine Anwälte eine ganze Reihe neuer Verzögerungstaktiken ausgemacht hatten.
In Canberra hatte es weitere Machtkämpfe an der Regierungsspitze gegeben, die der Premierminister auch dieses Mal für sich entschied. In einem Bericht, der eine Woche zurücklag, bezeichnete ein Journalist dies allen Ernstes als »Drama ersten Ranges«. Der rechte Mann am rechten Platz, sagte sich Paul.
Die Inflationsrate war um einen halben Prozentpunkt gefallen, die Arbeitslosigkeit im selben Maße gestiegen.
In Windeseile überflog Paul Bildschirmzeitungen, spulte im schnellen Vorlauf die Nachrichtensendungen des Fernsehens ab; er übersprang Artikel, die er, wären sie vom Tage gewesen, ganz sicher aufmerksam studiert hätte. Kurioserweise ärgerte es ihn, daß er so viel »versäumt« hatte – jetzt lag alles zum Greifen nah vor ihm, doch das war nicht dasselbe.
Und trotzdem: Sollte er nicht froh sein darüber, daß er nicht seine Zeit mit Belanglosigkeiten verschwendet hatte, die höchstens für einen Tag oder gar Stunden von Interesse waren? Wie langweilig und öde ihm das alles nun erschien, bewies doch nur, wie bedeutungslos es im Grunde war.
Nun gut: Wenn das alles nicht zählte, was denn? Menschen dachten nicht in geologischen Zeiträumen. Menschen dachten in Stunden und Tagen, und was während dieser Stunden und Tage geschah, das interessierte sie – mußte sie interessieren.
Menschen.
Paul schaltete sich in eine laufende Fernsehsendung und ließ die soundsovielte Folge von »Eine unordentliche Familie« vorüberhuschen – in weniger als zwei Minuten subjektiver Zeit. Vom Ton hörte er nicht mehr als unverständliches Zwitschern. Ein Ratespiel. Ein Kriegsfilm. Die Abendnachrichten. Es war wie in einem Raumschiff, das – noch weit von der Erde entfernt – sich mit hoher Geschwindigkeit dem Heimatplaneten näherte und alle Radiosendungen durch den Dopplereffekt komprimiert empfing. Eine Vorstellung, die merkwürdigerweise etwas Tröstliches an sich hatte: Wenn die Welt sich gegenüber Wesen aus Fleisch und Blut auf so verrückte Weise präsentieren konnte – zuweilen wenigstens –, dann war diese seine Situation vielleicht doch nicht so befremdlich, so un -menschlich. Oder hätte je einer behaupten wollen, daß der Dopplereffekt irgend jemanden seines Menschseins berauben könnte?
Dämmerung legte sich über die Stadt. Er aß ein Sojasteak aus dem Mikrowellenherd und fragte sich
Weitere Kostenlose Bücher