Cyberabad: Roman (German Edition)
»Ich weiß es. Das ist weder die Privatwohnung noch die Rath Yatra oder das Büro von Mr. N. K. Jivanjee. Das ist der Hochzeitssaal von Aparna Chawla und Ajay Nadiadwala für die Heirat des Jahres in Stadt und Land . Ich habe diese Kalamkaris selber designt.«
»Eine Bühnenkulisse?«
»Meine Bühnenkulisse. Für eine Szene, die noch gar nicht gedreht wurde.«
Najia Askarzadah spürt, wie sie unwillkürlich die Augen aufreißt. Sie wünscht sich, sie hätte ein subdermales Menü, das sie aufrufen könnte, um ihre lähmende Fassungslosigkeit mit einem Schuss Neurotransmittern wegzuspülen.
»Ich weiß von niemandem, der N. K. Jivanjee jemals von Angesicht zu Angesicht begegnet wäre«, sagt sie.
»Das ist unser Reisepass«, sagt Thal. »Ich muss noch einmal zu Indiapendent. Wir müssen sofort los, jetzt.«
»Sie können nicht einfach so hingehen, man würde Sie auf einen Kilometer Entfernung erkennen. Wir brauchen eine Verkleidung für Sie ...«
Dann verstummen gleichzeitig das Klackern der Tennisbälle und die Rufe der Spieler. Thal und Najia rollen quer durch den Raum, als Schatten auf die Jalousien fallen. Stimmen. Nicht deutsch. Nicht weiblich. Geduckt schiebt Najia das Moped vom Flur in die Küche. Sie hockt sich auf einer Seite daneben, Thal auf der anderen. Sie wissen, worauf sie warten müssen, aber trotzdem ist das Warten fürchterlich. Klick klick. Dann explodiert das Schlafzimmer in automatischem Feuer. Im gleichen Moment lässt Najia den kleinen Alkoholmotor aufheulen und wirft sich auf den Sitz. Thal steigt hinter ihr auf. Der Kugelhagel nimmt kein Ende. Nicht zurückblicken. Man darf nie zurückblicken. Sie weicht Bernards Klapptisch aus, öffnet die Hintertür und rast auf die mit Buschwerk bewachsene Fläche hinter der Bar hinaus. Kellner blickten auf, als sie sich zwischen den Kisten mit Kingfisher und Schweppes-Mixgetränken hindurchschlängelt.
»Aus dem Weg, verdammt!«, schreit Najia Askarzadah. Sie zerstreuen sich wie Elstern. Aus den Augenwinkeln nimmt sie zwei dunkle Gestalten wahr, die um die Ecke des Flügels mit den Zimmern kommen – Gestalten, die etwas mit den Händen machen. »Oh Gott!«, betet sie und fährt mit dem Moped drei Betonstufen hinauf in die Clubküche. »Weg da weg da weg da!«, brüllt sie, während sie um die Kühlschränke aus rostfreiem Stahl in der Größe von Kampfpanzern kurvt, um die Säcke mit Reis und Dal und Kartoffeln und um die Köche mit Tabletts und Messern und heißem Fett. Sie kommt auf einem Fleck aus verschüttetem Ghee ins Schleudern, kracht durch die Schwingtür und fährt durch den Speisesaal, an der ordentlichen Reihe der gedeckten Tische entlang, hupt ein Paar mit Surfer-T-Shirts und Sonnenbrillen im Partnerlook an und schießt in den Korridor. Im Hauptsaal ist ein Yoga-Abendkurs im Gange. Najia und Thal rollen mitten hindurch, mit wütend quäkender Hupe, während um sie herum die Sarvangasana-Kerzen wie ein gefällter Wald umstürzen. Durch die Terrassentür – die ständig geöffnet ist, um die Frauen in Baumwoll-Lycra mit Frischluft zu versorgen –, über die ausgedörrten Blumenbeete und durch das Haupttor in die sichere Anonymität des frühabendlichen Stoßverkehrs. Najia lacht. Donner antwortet ihr gleich einem Echo.
35 Mr. Nandha
Mr. Nandhas Präsentation der Ermittlungen gegen Kalki hat die Form einer Kugel, die in der Hoek-Sicht der Abteilungsleiter schwebt, gleichzeitig klein genug, um unter die Kuppe eines menschlichen Schädels zu passen, und groß genug, um den Glasturm des Ministeriums zu umschließen wie eine Faust eine Orchideenblüte. Sie rotiert vor dem geistigen Auge von Commissioner Arora und Director General Sudarshan und bringt immer neue Informationslandschaften in ihr Blickfeld. Eine kontinentgroße Stadtansicht aus Seiten und Fenstern und Bildern und Rahmen öffnet sich zu einer zweidimensionalen Datenlandkarte. Saraswati lautet der Name der kommentierenden Kaih, die Göttin der Sprache und der Kommunikation. Über einem leuchtenden Diagramm des Informationssystems von Tikka-Pasta Inc. verfolgt Saraswati die unlizensierte Kaih zurück bis zum neuralen Sprudeln Kashis, arbeitet sich dann eine fraktale Ebene nach der anderen hinauf bis zu den verwischten Dendriten des Localnet von Janpur, Malaviri-Knoten, Subadresse Jashwant der Jain (all seine kleinen Cyberköter sind geisterhafte Skelette, an denen Aktoren und Chipsets hängen, während Jashwant selbst ein schlaffer blauer Sack aus nackter Haut ist). Das
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