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Cyberabad: Roman (German Edition)

Cyberabad: Roman (German Edition)

Titel: Cyberabad: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McDonald
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kann.«
    Lisa Durnau zieht die Lade aus dem weichen Lederetui und legt sie an das andere Ende neben ihr Tabernakel-Porträt.
    »Du fliegst mit mir zurück.«
    Thomas Lull schüttelt den Kopf. »Auf gar keinen Fall. Du kannst alles weitergeben, aber ich kehre nicht zurück.«
    »Wir brauchen dich.«
    » Wir? Willst du mir jetzt sagen, dass es meine Pflicht als guter Bürger nicht nur der Vereinigten Staaten, sondern der großen weiten Welt ist, für diesen epochalen Moment des Erstkontakts mit einer ›außerirdischen Zivilisation‹ ein Opfer zu bringen?«
    »Du bist ein Arschloch, Lull.«
    Wieder starrt der Mann herüber, als er die Obszönität aus dem Mund einer Frau hört. Das Tragflügelboot ruckt und knallt – offenbar ist es mit etwas unter Wasser zusammengestoßen.
    An diesem Monsunmorgen ist das Tragflügelboot nach Patna ein Lastkahn für Flüchtlinge. Varanasi ist eine Stadt, die sich in Krämpfen windet. Die Schockwellen, die sich vom Sarkhand Roundabout ausbreiten, sind zu uralten Feindseligkeiten und Gehässigkeiten kristallisiert. Jetzt sind es nicht mehr nur die Neuts. Jetzt sind es die Muslime, die Sikhs, die Westler, während die Stadt Shivas krampfhaft zuckt und Opfer jagt. US-Marines eskortierten das Diplomatenfahrzeug von der Polizeiwache durch die hastig errichteten Kontrollpunkte der Bharati-Armee. Thomas Lull versuchte einen Sinn in der kleinen US-Flagge zu erkennen, die kühn auf dem rechten Kotflügel des Wagens flatterte, während Jawans und Marines sich gegenseitig Blicke zuwarfen. Sirenen dopplerten durch die Nacht. Über ihnen knatterte ein Hubschrauber. Der Konvoi fuhr an einer Reihe geplünderter kleiner Geschäfte vorbei, die stählernen Rollläden eingeschlagen oder herausgerissen. Ein mit jungen Karsevaks beladener Nissan-Pick-up fuhr neben ihnen her. Die Männer beugten sich herab, um in das Diplomatenfahrzeug zu blicken. Vom Ganja hatten sie große Augen, sie hatten sich mit Trishuls, Mistgabeln und alten Klingen bewaffnet. Der Fahrer grinste anzüglich, trat das Gaspedal durch und raste davon, begleitet von einem Hupkonzert. Überall roch es nach feuchter Verbrennung.
    »Kij ist da draußen«, sagte Thomas Lull.
    An der Anlegestelle des Tragflügelboots fiel heftiger Regen, gewürzt mit Rauch, aber die Stadt wagte sich immer wieder hinaus, ein Blick durch eine Tür, ein schneller Sprint, vorbei an ausgebrannten Marutis und geplünderten Läden von Muslimen, eine hastige Phatphat-Fahrt. Das Leben musste weitergehen. Die Stadt, die scheinbar den Atem angehalten hatte, erlaubte sich endlich, langsam und zitternd auszuatmen. Eine Menschenmenge schob sich beständig durch die schmalen Straßen zum Fluss. Mit Handkarren und Fahrradwagen, mit überladenenen Fahrradrikschas und Phatphats, mit hupenden Marutis und Taxis und Pick-ups hatten sich die Muslime auf den Weg gemacht. Thomas Lull und Lisa schlängelten sich durch den hoffnungslosen Verkehrsstau. Viele hatten ihre Fahrzeuge aufgegeben und entluden ihre geretteten Besitztümer: Computer, Nähmaschinen, Drechselbänke, aufgeblähte Bündel aus Bettwäsche und Kleidung, die mit blauen Plastikschnüren zusammengebunden waren.
    »Ich war bei Chandra in der Universität«, sagte Thomas Lull, während sie sich durch einen Knoten aus verlassenen Fahrradrikschas zum Ghat zwängten, wo sich die separaten Flüchtlingsströme am Ufer zu einer vedischen Horde vereinigten. »Anjali und Jean-Yves arbeiteten an Mensch-Kaih-Interfaces, insbesondere an der Verknüpfung von Pro teinchip-Matrizen mit Nervenstrukturen. Eine direkte Hirn- Computer-Verbindung.« Lisa Durnau musste sich bemühen, Thomas Lull im Blickfeld zu behalten. Sein knallblaues Surfhemd war wie ein Leuchtfeuer zwischen den Körpern und Bündeln. Man musste nur einmal auf diesen Steinstufen stolpern, und man war tot. »Der Anwalt hat Kij ein Foto gegeben. Von ihr nach irgendeiner Operation zusammen mit Jean-Yves und Anjali. Ich habe den Ort wiedererkannt, es war in Patna am neuen Bund-Ghat. Dann habe ich mich an etwas erinnert. Es war in Thekkady, als ich in den Strandclubs gearbeitet habe. Ich kannte die ganzen Emotika-Schmuggler, das meiste kam aus Bangalore und Chennai, aber es gab da einen Kerl, der das Zeug aus dem Norden importierte, aus der Freihandelszone von Patna. Er konnte alles, was man auch aus Bangalore bekam, zu einem Viertel des Preises liefern. Er fuhr einmal monatlich in den Norden, und ich erinnere mich, dass er mir von diesem grauen Mediziner erzählte, der

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