Cyberabad: Roman (German Edition)
Zwei Jungs Mitte zwanzig mit freiem Oberkörper in wadenlangen Jams kommen über die Rampe. Wasser tropft von ihren Rastalocken, aber sie bewegen sich durch den Regen, als wäre es ihre natürliche Umgebung. Lisa Durnau, die unter einer Markise Schutz gesucht hat, wirft einen Blick auf ihre Unterkörper. Sie haben diese Bauchmuskelfurchen, die bis unter den Hosenbund reichen.
»Kumpels, wenn der Guru nicht da ist, ist er nicht da.«
»Ich habe da oben eine Bewegung gesehen«, ruft Thomas Lull. »He! Ich sehe Sie, kommen Sie raus, ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen.«
»Hören Sie, etwas mehr Respekt, wenn jemand seine Ruhe haben will«, sagt der zweite Fitnesstyp. Er trägt eine geschnitzte Jadespirale an einem Lederriemen um den Hals. »Der Guru gibt keine Interviews, für niemanden, nirgendwo, nirgendwie. Okay?«
»Ich bin kein verdammter Journalist, und ich bin kein verdammter Karsevak«, erklärt Thomas Lull und klettert die Schiffsaufbauten hinauf.
»Lull«, stöhnt Lisa Durnau.
»Oh nein, das tun Sie nicht«, ruft der erste Australier, und gemeinsam packen sie Thomas Lull an den Beinen und ziehen ihn von der Brücke. Er knallt unsanft auf den Steg.
»Jetzt sind Sie eindeutig länger geblieben, als Sie willkommen sind«, sagt Jadejunge. Dann ziehen sie Thomas Lull auf die Beine, halten seine Arme in festem Griff und dirigieren ihn zum Steg zwischen den Schiffen.
Lisa Durnau beschließt, dass es an der Zeit ist, etwas zu tun. »Nanak!«, ruft sie zur Brücke hinauf.
Eine Gestalt bewegt sich hinter dem Maschendraht und dem schmutzigen Glas.
»Wir sind keine Journalisten. Wir sind Lisa Durnau und Thomas Lull. Wir wollen mit Ihnen über Kalki reden.«
Die Tür zur Laufbrücke öffnet sich. Ein mit Schals umwickelter Kopf lugt heraus, ein Gesicht wie Hanuman, der Affengott.
»Lasst ihn los.«
Nanak, der Traumchirurg, wuselt auf der Brücke hin und her, um auf korrekte Weise Tee zuzubereiten. Nach den industriellen Schiffsaufbauten wirkt die Inneneinrichtung mit den pseudokolonialen Möbeln aus Korb und Bambus erstaunlich dekadent.
»Ich bitte vielmals um Entschuldigung für meine Zurückhaltung.« Nanak hantiert mit Töpfen und einem Benares-Klapptisch aus Blech. Lisa Durnau nippt an ihrem Chai und mustert verstohlen ihren Gastgeber. In Kansas sind Neuts kein gewohnter Anblick. Die Details auf sys Haut, die leichten Erhöhungen, die sich den bloßen linken Arm hinunterziehen, die subdermalen Kontrollen für das Sexualsystem faszinieren sie. Sie fragt sich, wie es ist, wenn man seine Emotionen programmieren kann, wenn man bestimmen kann, wie man sich verliebt, wie einem das Herz bricht, wenn man seine Hoffnungen und Ängste neu definieren kann. Sie fragt sich, wie viele Arten von Orgasmus man gestalten kann. Aber die vordringlichste Frage in ihrem Kopf lautet: War ys männlich oder weiblich? Die Körperform, die Fettverteilung, die Kleidung – eine bewusst eklektizistische Mischung, die fließend und schlaff gehalten ist – geben keinen Hinweis. Männlich , entscheidet sie. Männer sind in ihrer sexuellen Identität unbestimmter.
Nanak gießt neuen Chai ein. »Wir wurden in letzter Zeit schikaniert. Die Australier passen auf mich auf, gute, nette Jungs. Und die Arbeit hier verlangt Diskretion. Aber dass Professor Thomas Lull mich aufsucht, ist eine große Ehre für einen bescheidenen Anbieter chirurgischer Dienstleistungen.«
Thomas Lull klappt seinen Palmer auf und legt ihn auf den Blechtisch.
Nanak zuckt zusammen, als er einen Blick auf den Bildschirm wirft. »Das war die komplexeste Operation, die ich jemals vermittelt habe. Wochenlange Arbeit. Wir haben ihr Gehirn fast vollständig auseinandergenommen. Lappen und Windungen aufgedröselt und an Drähten hängend. Außergewöhnlich.«
Lisa Durnau sieht, wie sich Thomas Lulls Gesicht anspannt.
Nanak legt ihm eine Hand aufs Knie. »Geht es ihr gut?«
»Sie versucht herauszufinden, wer ihre wahren Eltern sind. Sie hat erkannt, dass ihr Leben nur aus Lügen besteht.«
Nanaks Mund bildet ein tonloses Oh .
»Ich bin nur ein Anbieter von Dienstleistungen ...«
»Waren es diese beiden, von denen Sie den Auftrag erhalten haben?« Thomas Lull ruft das Bild vom Tempel auf, das ihn überhaupt erst zu dieser Pilgerreise veranlasst hat.
»Ja«, sagt Nanak und verschränkt die Hände in sys Schal. »Sie vertraten einen mächtigen Varanasi-Sundarban, den Badrinath-Sundarban. Das legendäre Domizil von Vishnu, glaube ich. Man hat mir zwei Millionen
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