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Cyberabad: Roman (German Edition)

Cyberabad: Roman (German Edition)

Titel: Cyberabad: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McDonald
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verschwitzt und verschmutzt an diesem feuchten Monsunmorgen. Vik ist unsicher und ängstlich. Er macht sich einen Vermerk, dass er Vik wegen ungenügendem Eifer eine Rüge erteilen will. Wenn der Fall abgeschlossen ist, wenn er für eine strengere Führung sorgen wird. Mr. Nandha schreitet über den feuchten weißen Sand.
    »Achtung, Achtung!«, ruft er mit erhobener Vollmacht. »Dies ist eine Sicherheitsaktion des Ministeriums. Bitte leisten Sie unseren Beamten jede erdenkliche Hilfe. Ihnen droht keine Gefahr.« Aber es ist die Waffe in seiner rechten Hand, nicht die Vollmacht in der linken, die die Menschen zurückweichen lässt. Eltern zerren ihre neugierigen Kinder fort, Ehefrauen drängen ihre Ehemänner aus dem Weg. Für Mr. Nandha ist das Dasashvamedha Ghat eine mit Geistern gepflasterte Arena, die von göttlichen Zuschauern umringt wird. Er stellt sich vor, dass ihre hohen, riesigen Gesichter lächeln. Er richtet seine Aufmerksamkeit auf den kleinen leuchtenden Punkt in seinem verstärkten Sichtfeld, sternenförmig jetzt, das Pentagramm der menschlichen Gestalt. Die Kaih entfernt sich von ihrem Aussichtspunkt auf dem Wasserturm. Sie ist nun auf dem Laufsteg. Mr. Nandha rennt los.
    Die Menge duckte sich beim Überflug des Senkrechtstarters, und Lisa Durnau tat dasselbe. Und während sie zu Kij auf dem Turm hinaufblickt, spürt sie, wie Thomas Lulls Finger durch ihre gleiten und sich von ihr lösen. Die Körper schließen sich um ihn. Er ist fort.
    »Lull!« Nach nur wenigen Schritten ist er völlig verschwunden, absorbiert von der Bewegung der farbenfrohen Salwars und Jacken und T-Shirts. In aller Öffentlichkeit verborgen. »Lull!« Unmöglich, dass er sie im Lärm des Dasashvamedha Ghat hört. Plötzlich empfindet sie größere Klaustrophobie als im steinernen Geburtskanal von Darnley 285. Allein in der Menge. Sie bleibt stehen, atmet keuchend im Regen. »Lull!« Sie blickt zum Wasserturm am oberen Ende der versetzten Steintreppen hinauf. Kij steht immer noch am Geländer. Wo sie ist, wird auch Lull sein. Keine Zeit für westliche Nettigkeiten. Lisa Durnau kämpft sich mit den Ellbogen durch die wimmelnde Menge.
    In der Lade ist sie unschuldig, in der Lade weiß sie nichts, sieht sie nichts, in der Lade ist sie eine Jugendliche, die von hoch oben auf eins der größten Wunder der Menschheit herabblickt.
    »Lassen Sie mich durch, lassen Sie mich durch!«, ruft Thomas Lull. Er sieht, wie der Senkrechtstarter, ähnlich einer Gottesanbeterin, das Fahrwerk ausklappt und auf dem Sandstreifen niedergeht. Er sieht die Wellen des Unmuts, die sich durch die Menge ausbreiten, als die Soldaten die Leute zurückdrängen. Von seinem höheren Standpunkt auf dem Ghat sieht er, wie die blasse Gestalt über den geräumten Marmor vorrückt. Das ist der vierte Avatar des Tabernakels. Das ist Nandha, der Krishna-Cop.
    Es gibt eine Geschichte von Kafka, erinnert sich Lull im Wahnsinn seiner äußersten Anstrengung, über einen Boten, der eine Gnadenbotschaft vom Kaiser zu einem Untertanen bringt. Obwohl der Bote über alle Siegel und Vollmachten und Machtwörter verfügt, schafft er es nicht, den Palast zu verlassen, weil das Gedränge zu groß ist. Er kommt nie durch die Menge, um die lebenswichtige Nachricht zu überbringen. Also bleibt sie ungesagt – zumindest in Lulls Erinnerung aus seiner paranoiden Zeit.
    »Kij!« Er ist nahe genug, um die drei schmuddeligen weißen Streifen an der Seite ihrer grauen Sportschuhe zu erkennen. »Kij ...« Aber seine Worte fallen in die Senke des Lärms, werden zerdrückt und ausgelöscht von härteren, lauteren Hindi-Rufen. Und sein Atem versagt, er spürt die kleine elastische Spannung am Grund jedes Atemzugs.
    Scheiß auf Kafka.
    »Kij!«
    Er kann sie nicht mehr sehen.
    Lauf , flüstert die Asche der Götter. Ihre Füße klappern über das Metallgerüst. Sie wirbelt um den Pfeiler und die scharfkantigen Stahlstufen hinunter. Ein älterer Mann schreit und flucht, als Kij mit ihm zusammenprallt.
    »Tut mir leid, tut mir leid«, flüstert sie, die Hände beschwichtigend erhoben, aber er ist schon fort. Sie bleibt einen Moment auf der obersten Stufe der Treppe stehen. Der Senkrechtstarter ist rechts von ihr auf dem Sand gelandet, nicht weit vom Wasser. Eine Störung in der Menge bewegt sich wie eine Kobra auf sie zu. Hinter ihr peitschen die Antennen eines Armee-Hummer zwischen den niedrigen, tropfenden Ständen der Dasashvamedha Gali durch die Luft. Dort ist ihr der Fluchtweg versperrt. Das

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