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Cyberabad: Roman (German Edition)

Cyberabad: Roman (German Edition)

Titel: Cyberabad: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McDonald
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zentimeterweise in einem ausbalancierten Newton’schen Ballett herabsinken und bringt ihn in Position, damit Mr. Nandha zwischen den Wirbeln von den Triebwerken an den Flügelspitzen hindurchschlüpfen und sicher über die Zugangsrampe im Heck einsteigen kann. Der Rückstoß richtet die Verwüstung an, die er in seiner Phantasie durchgespielt hat. Die Spaliere werden sofort plattgedrückt. Die Geranien werden von den Stangen gefegt. Setzlinge und kleine Pflanzen werden aus der weichen Erde gerissen, auch die Erde selbst rollt in matschigen Klumpen davon. Das getränkte Holz der Beete dampft und raucht. Die Pilotin lässt die Maschine herabsinken, bis die Räder die Dachpappe berühren. Die Heckrampe wird ausgefahren.
    Eins nach dem anderen gehen Lichter in den umliegenden Fenstern an.
    Mr. Nandha schlägt den Kragen hoch und kämpft sich durch die Böen zum offenen, blau erleuchteten Innenraum. Sein ganzes Team ist zwischen den Sowars der Luftlandetruppen versammelt. Mukul Dev und Ram Lalli. Madhvi Prasad, sogar Morva von der Steuerfahndung. Als Mr. Nandha sich neben ihm anschnallt, schließt sich die Rampe, und die Pilotin gibt Schub auf die Triebwerke.
    »Meine lieben Freunde«, sagt Mr. Nandha. »Ich bin froh, dass Sie in diesem historischen Moment bei mir sind. Eine Künstliche Intelligenz der Generation Drei. Eine Entität, die so weit über unserem fleischlichen Intellekt steht wie wir über einem Schwein. Bharat wird uns dankbar sein. Jetzt sollten wir uns entschlossen ans Werk der Exkommunikation machen.«
    Der Senkrechtstarter dreht sich um die vertikale Achse, während er über Mr. Nandhas verwüstetem Dachgarten aufsteigt, höher als all die Fenster und Balkone und Solarfarmen und Wassertanks seiner Nachbarn. Dann zieht die Pilotin die Nase hoch und das Heck runter, und die kleine Maschine schwebt steil zwischen den Hochhäusern empor.
    Die letzten Götter erlöschen über Varanasi, und der Himmel ist nur noch der Himmel. Die Straßen sind still, die Gebäude sind stumm, die Autos haben keine Stimmen, und die Menschen sind einfach nur Gesichter, wie geschlossene Fäuste. Es gibt keine Antworten, keine Orakel in den Bäumen und Straßenschreinen, keine Prophezeiungen ankommender Flugzeuge, aber diese Welt ohne Götter ist in ihrer Leere unglaublich reichhaltig. Sinne füllen die Lücken aus, Motoren dröhnen, die Welle aus Stimmen schwappt heran, die Farben der Saris, der Männerhemden, die Neonreklamen, die im grauen Regen blitzen, alles leuchtet in einem eigenen lebhaften Licht. Jeder Hauch von Straßenparfüm, abgestandenem Urin, heißem Fett, Alkospritabgasen, brennendem feuchtem Plastik ist eine Emotion und eine Erinnerung an ihr Leben vor den Lügen.
    Damals war sie eine andere Person, wenn sie den Frauen in der Hütte glauben kann. Aber die Götter – die Maschinen, wie sie nun erkennt – sagen, dass sie jetzt eine völlig andere Persönlichkeit ist. Sie sagen nicht, sie sagten. Die Götter sind fort. Zwei verschiedene Sätze von Erinnerungen. Zwei Leben, die nicht miteinander leben können, und nun ein drittes, das irgendwie beide vorherigen inkarnieren muss. Lull. Lull wird es verstehen. Lull wird ihr sagen können, wie sie sinnvoll mit diesen Leben umgehen sollte. Sie glaubt, sich an den Rückweg zum Hotel zu erinnern.
    Benommen vom Imperium der Sinne, befreit von der Tyrannei der Informationen, entlassen ins Reich der simplen Dinge lässt sich Kij von der Stadt zum Fluss ziehen.
    Im morgendlichen Regen auf der Ringautobahn im Westen von Allahabad starten zweihundert Awadhi-Panzer ihre Motoren, drehen sich auf der Stelle und verlassen ihre Wagenburg-Positionen, um eine geordnete Kolonne zu bilden. Der schnellere, beweglichere Verkehr saust an der vier Kilometer langen Schlange vorbei, aber es gibt keinen Zweifel mehr an der allgemeinen Richtung, nach Südsüdwest, zur Straße nach Jabalpur. Während in den Geschäften die Rollläden hochgezogen werden und die Lohn-Wallahs eintreffen, um mit ihren Phatphats und Dienstwagen zur Arbeit zu fahren, rufen die Zeitungsjungen die Nachricht von ihren Plätzen auf dem Betonmittelstreifen: PANZER ZIEHEN AB! ALLAHABAD GERETTET! RÜCKZUG DER AWADHIS NACH KUNDA KHADAR!
    Ein weiteres Exemplar der unerschöpflichen Mercedes-Flotte des Premierministeriums wartet auf den Bharatiya Vayu Sena Airbus Industries A510, während er auf seine Parkposition weit entfernt von den betriebsameren Teilen des Flughafens von Varanasi eindreht. Regenschirme schützen

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