Cyberabad: Roman (German Edition)
Tragflügelboot liegt am Steg vor einer riesigen Raute aus Menschen, die versuchen, sich an Bord zu drängen. Viele stehen schultertief im Wasser und tragen ihre Sachen auf den Köpfen. Früher hätte sie probieren können, die Kontrolle über die Maschinen des Boots zu erlangen, um über den Fluss zu entkommen. Aber diese Macht besitzt sie nicht mehr. Sie ist nur noch ein Mensch. Links von ihr fallen die Wände und Stützpfeiler von Man Singhs astronomischem Palast gestuft zum Ganges hinab. Köpfe, Hände, Stimmen, Dinge, Farben, regenfeuchte Haut, Augen. Ein blasser Kopf, der sich mit fremdländischer Körpergröße über die anderen erhebt. Langes Haar, graue Stoppeln. Blaue Augen. Blaues Hemd, albernes Hemd, knallbuntes Hemd, herrliches rettendes Hemd.
»Lull!«, ruft Kij und springt die steilen, schlüpfrigen Ghats hinunter. Sie schlittert über die Steine, steigt über Gepäckballen, stößt Kinder beiseite, springt über niedrige Mauern und Plattformen, auf denen die Brahmanen das Zehn-Pferde-Opfer Brahmas mit Feuer und Salz, Musik und Prasad feiern. »Lull!«
Mit einem einzigen Gedanken verbannt Mr. Nandha seine Götter und Dämonen. Jetzt hat er sie. Sie kann nicht in die Stadt fliehen. Der Fluss ist ihr versperrt, Mr. Nandha ist hinter ihr, so dass es nur noch vorwärts weitergeht. Die Menschen weichen vor ihm zurück wie ein Meer, dass sich in einem fremden religiösen Mythos teilt. Er kann die Kaih sehen. Sie ist grau gekleidet, in tristes Maschinengrau, so einfach auszumachen, so einfach zu identifizieren.
»Halt«, sagt Mr. Nandha ruhig. »Sie sind verhaftet. Ich bin ein Polizist. Bleiben Sie sofort stehen, und legen Sie sich flach auf den Boden.«
Zwischen ihm und der Kaih ist nur freie Fläche. Und Mr. Nandha erkennt, dass sie nicht stehen bleiben wird, dass sie versteht, was das Gesetz von ihr verlangt, und dass sie in der Weigerung eine letzte winzige Überlebenschance sieht. Mr. Nandha entsichert mit einem Klick seine Waffe. Das Indra-Avatar-System schwenkt seinen ausgestreckten Arm zum Ziel. Dann führt sein Daumen eine Bewegung aus, die er noch nie zuvor ausgeführt hat. Er schaltet die Waffe vom unteren Lauf, der Maschinen tötet, auf den oberen um. Der Mechanismus gleitet mit einem seidenweichen Klicken in Position.
Lauf. Ein so leichtes Wort, wenn man nicht gerade spürt, dass die Lungen wie Fäuste verkrampft sind und um jeden Atemzug ringen, wenn die Menge nicht jedem Satz und Schubser und Ellbogenstoß Widerstand leistet, wenn ein falscher Tritt einen unter die Füße der Menge und ins Verderben befördern könnte, wenn sich der Mann, der einen retten könnte, nicht am geometrisch fernsten Punkt des Uni versums befindet.
Lauf. Ein so leichtes Wort für eine Maschine.
Mr. Nandha kommt schlitternd auf dem tückischen, von Füßen polierten Stein zum Stehen, die Waffe erhoben. Er kann sein Ziel genauso wenig aus dem Blick verlieren, wie er die Sonne von ihrer Position verrücken könnte. Indra würde es nicht zulassen. Sein ausgestreckter Arm, seine Schultern schmerzen.
»Im Namen des Ministeriums, ich befehle Ihnen, stehen zu bleiben!«, brüllt er.
Sinnlos, wie immer. Er fasst die Absicht. Indra feuert. Die Menge schreit.
Die Munition ist eine Patrone mittlerer Geschwindigkeit aus flüssigem Wolfram, die sich außerhalb des Laufs von Mr. Nandhas Waffe im Flug zu einer rotierenden Scheibe aus heißem Metall ausdehnt, von der Größe eines Rings aus zusammengelegtem Daumen und Zeigefinger, ein Okay -Zeichen. Sie erwischt Kij mitten im Kreuz und gräbt sich in einem Sprühnebel aus verflüssigtem Gewebe durch die Wirbelsäule, die Nieren, die Eierstöcke und den Dünndarm. Die Vorderseite ihres ärmellosen grauen Baumwolltops explodiert in einem Regen aus Blut. Der Aufprall reißt sie von den Beinen und schleudert sie mit ausgebreiteten Armen auf die Menge. Die Leute kriechen hektisch unter ihr hervor. Sie stürzt schwer auf den Marmor. Der Treffer, das Trauma hätten sie töten sollen – die untere Körperhälfte ist von der oberen getrennt –, aber sie windet sich und krallt die Finger in den Marmor, mitten in einer Lache aus warmem, süßem Blut, und gibt leise kreischende Laute von sich.
Mr. Nandha seufzt und geht zu ihr. Er schüttelt den Kopf. Ist ihm niemals etwas mehr Würde vergönnt? »Treten Sie bitte zurück«, befiehlt Mr. Nandha. Er steht über Kij, die Beine leicht gespreizt. Indra senkt die Waffe. »Dies ist eine routinemäßige Exkommunikation, aber ich rate Ihnen,
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