CyberCrime
angesagten Adam & Eve Hotel, in dem es den Designern gelungen war, einen hohen Etat mit einem einzigartig schlechten Geschmack zu verbinden. Pool-Wellen schwappten in einem Innenhof mit ständig wechselnden Lichteffekten, und die Zimmer waren bekannt für ihre unzähligen Spiegel, die zu ausgiebigen Sexspielen einluden. Das alles war nicht billig. Der Zimmerpreis begann bei 400 Dollar pro Nacht, und die Besucher stellten fest, dass man sehr schnell gewaltige Nebenkostenrechnungen anhäufen konnte. Aber für die jungen Schönen oder Reichen in der Türkei war es das Ferienziel der Saison.
Sofort nachdem Mert und Sanem eingecheckt hatten, lief ihnen Çağatay über den Weg, der ebenfalls zum Sommerurlaub in den Süden geflogen war. Einem korpulenten Herrn mit Brille, der sich in seiner Begleitung befand, erklärte Çağatay, Mert habe dem Team von Cha 0 in »administrativen Angelegenheiten« geholfen. Der Dicke blinzelte zu Mert hinüber und rief dann: »Warten Sie mal. Den Burschen kenne ich doch, seit er ein kleiner Junge war! Was um Himmels willen machst du denn in dieser Branche?« Mert reagierte wie immer: Er kicherte und lächelte spitzbübisch.
Als er mit Sanem zu ihrem Zimmer ging, beugte Mert sich zu ihr und sagte: »Der zweite Typ? Das war Lord Cyric.« Nun wollte Sanem wissen, ob Cyric mehr Macht hatte als Cha 0 . Mert versicherte ihr, das sei nicht der Fall, aber dann fiel ihm wieder ein, dass sie sich vor allem für Macht und erst in zweiter Linie für Geld interessierte.
Mert war verliebt und schwebte im siebten Himmel. Er war ein vermögender Mann, bei Kriminellen und dem Geheimdienst gleichermaßen angesehen, und für die Außenwelt hatte er als Leiter der IT -Abteilung bei Fox Türkei eine beeindruckende Stellung. Außerdem verdümpelte er den Sommer mit seiner neuen Freundin im Adam & Eve Hotel. Besser konnte es nicht werden.
Das wurde es auch nicht. Rückblickend betrachtet, war der August 2007 das kurze goldene Zeitalter von Mert Ortaçs Traumwelt, eine Zeit, in der seine Fantasien plötzlich mit der Realität zusammenfielen. Sobald er nach Istanbul zurückgekehrt war, begannen ihm die Dinge aus dem Ruder zu laufen, und als der Sommer dem Herbst Platz machte, verbreiteten sich düstere Schatten. Sanem und Mert pflegten teure Einkaufstouren an Orte wie die Insel Mykonos im benachbarten Griechenland zu unternehmen. Dann gab das Paar jeden Tag mehrere tausend Euro aus, was selbst Merts gut bestückte Schatulle belastete. Sein Widerwille gegen ihre Verschwendungssucht war ebenso groß wie ihre wachsende Irritation über seine Geheimnisse und Lügen.
Im Rahmen einer solchen verwickelten Episode wurde Mert festgenommen, weil er angeblich einem Freund von Sanems Bruder 5000 Euro gestohlen hatte. Die Festnahme lieferte Fox Türkei den letzten Anlass, ihn zu entlassen. Noch rätselhafter war etwas anderes: Der staatliche Geheimdienst hatte irgendwann entschieden, dass Mert zu einer Belastung geworden war und dass es sich nicht lohnte, ihn noch länger zu schützen. Aus heiterem Himmel fühlte er sich plötzlich bloßgestellt, und außerdem fehlten ihm nun zwei wichtige Einnahmequellen.
Nachdem er eine Vorladung erhalten hatte, verstärkte er zusammen mit Sadun seine Carding-Aktivitäten, was dank anhaltender Sicherheitslücken bei der Akbank weiterhin möglich war. Die Verzweiflung äußerte sich als Nervosität, und verstärkt wurde dieser Zustand noch durch die Entdeckung, dass Sanem eine Affäre hatte. Der nachfolgende Streit war eine stürmische Angelegenheit, in deren Verlauf bittere Vorwürfe hin und her gingen. Mert glaubte, sie habe ihm große Geldsummen gestohlen. Und sie muss geglaubt haben, dass er schlicht geistesgestört war.
Als seine Welt derart zusammenbrach, reiste Mert über Neujahr nach Süden, um über seine nächsten Schachzüge nachzudenken. Unterwegs erreichten ihn weitere schlechte Nachrichten: Man hatte Sadun festgenommen; die Polizei hatte bereits Merts Wohnung durchsucht, und ein Haftbefehl gegen ihn war ausgestellt. Wäre er in Istanbul geblieben, er säße bereits hinter Schloss und Riegel. Wie so oft in schwierigen Situationen entschloss sich Mert, weiter zu graben, bis er sich völlig im Untergrund befand.
Er kehrte unter falschem Namen nach Istanbul zurück und legte sich eine Fluchtstrategie zurecht. Mit einem seiner vielen falschen Personalausweise beantragte er einen neuen Reisepass und erhielt ihn auch; dann bestach er einen Konsularbeamten der französischen
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