CyberCrime
aus einem riesigen Netzwerk korrupter Beziehungen zwischen Oligarchen und dem organisierten Verbrechen bestand. Außerdem wetteiferten die Vereinigten Staaten mit Europa und Russland um den Einfluss in der Ukraine, und zu jener Zeit kam aus Moskau gerade beträchtlicher Gegenwind. Solange Kowaltschuk in der Ukraine blieb, war er in Sicherheit.
Ende 2002, inmitten der Ermittlungen – Inspector Crabb arbeitete noch in San Francisco –, bekam er einen Anruf von der Sicherheitsabteilung des Kreditkartenunternehmens Visa, dessen Firmenzentrale sich zufällig ebenfalls in der Stadt befand. Dort war man frustriert wegen der ungewöhnlichen Erfolge eines Hackers namens Boa: Ihm war es gelungen, über seine berüchtigte Website Boa Factory Zehntausende von Kreditkartendaten zu stehlen oder anderen beim Diebstahl zu helfen. Sofort spitzte Crabb die Ohren: Den Namen Boa kannte er aus verschiedenen Unterhaltungen, die er auf Kowaltschuks Mail-Account belauscht hatte. Hatte Kowaltschuk nicht vieles von Boa Factory gekauft und dort die Tricks des Gewerbes gelernt, gleichzeitig aber auch über die Entwicklung von CarderPlanet diskutiert? Sehr schnell machte der Postinspektor Boa und Script als Schlüsselfiguren hinter CarderPlanet aus. Diskret schickte er über Interpol eine Nachricht an andere Polizeibehörden und bat darum, mit ihm Kontakt aufzunehmen, falls ihnen Ukrainer ins Netz gingen, die im Verdacht standen, Hightech-Verbrechen begangen zu haben.
Ende Februar 2003 kehrte Roman Vega gerade von einer Geschäftsreise in sein Haus auf Malta zurück, als ein Bekannter ihn bat, sich mit ihm in Nikosia auf Zypern zu treffen. Einen ganzen Abend lang tranken die beiden und schwelgten in Erinnerungen an ihre Abenteuer in Birma, wo sie 1991 mit einer ganzen Gruppe die ersten Amateurfunknachrichten aus dem von Militärs regierten Land gesendet hatten.
Als Vega in sein Zimmer im Hotel Castelli zurückkam, wartete eine unangenehme Überraschung auf ihn: Modesto Poyadjis, ein örtlicher Polizeiinspektor, nahm den Ukrainer fest. Der Vorwurf: Beihilfe zu einem Kreditkartenbetrug, den ein anderer Ukrainer begangen hatte – diesem hatte Vega gestattet, in seinem Hotelzimmer zu übernachten, ein ungeschicktes Angebot, wie sich nun herausstellte. Für Vega war es der Beginn seiner Beziehung zu den Polizeibehörden in Zypern und den Vereinigten Staaten – einer Beziehung, die man nur als kafkaesk bezeichnen kann.
Nachdem Poyiadjis die Unterlagen von Interpol gelesen hatte, setzte er sich mit Greg Crabb in Verbindung, dem Leiter der US -Ermittlungen gegen Boa. Er erklärte dem Mann von der amerikanischen Postinspektion, nach seiner Überzeugung sei Roman Vega niemand anderes als Boa. Crabb konnte seine Aufregung kaum verbergen. Noch bevor er den Telefonhörer auflegte, hatte er in Gedanken den nächsten Flug nach Nikosia gebucht. Das lag nicht nur an der Aussicht auf Auslieferung eines der führenden Köpfe hinter CarderPlanet … nein, sie hatten auch dessen Laptop! Wenn die Zyprioten herausgefunden hatten, wer Vegas Alter Ego war, ohne eigentlich zu wissen, womit sie es zu tun hatten, was könnte dann erst ein Ermittler wie Crabb aus dieser Festplatte herausholen.
»Boas Festnahme war ein riesiger Schock«, sagt CarderPlanet-Mitglied Xhora. Damit sprach er aus, was viele seiner Cyberkumpane auf dem Planeten zu jener Zeit empfanden. Boa hatte dafür gesorgt, dass CarderPlanet nicht nur interessant war und Gewinn brachte, sondern auch Spaß machte. Da er viel älter und erfahrener war als die anderen Bewohner des Planeten, glaubten viele von ihnen, er sei gegen polizeiliche Maßnahmen und ähnliche Unannehmlichkeiten gefeit.
Zur gleichen Zeit häufte Script durch seine Herrschaft über CarderPlanet immer mehr Macht und Geld an. »Seine Interviews dienten dazu, die Site beliebter zu machen und seine Geschäfte auszuweiten, und das ist ihm gelungen«, sagte Null_Name, ein weiterer CP -Anhänger. »Eine Flut von neuen Mitgliedern kam zu der Site. Und die Atmosphäre änderte sich. Es war nicht mehr so wie früher.«
Das stimmte: Die gemütliche Kameradschaft aus der Frühzeit von CarderPlanet schwand schnell dahin. Andererseits warf die Website mehr Geld ab als je zuvor. Mittlerweile lief auch der englischsprachige Teil des Forums, und schon nach kurzer Zeit registrierten sich Carder aus der ganzen Welt. Aber weit weg, in San Francisco, tat sich Greg Crabb an Boas Festplatte gütlich und grub Tausende von Geheimnissen aus, die zwischen
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