CyberCrime
von Cyber-Kriegführung.
Ich besuchte Hillar einen Monat nachdem ich bei Google im Silicon Valley gewesen war. Meine Reise in den Osten führte mich nach Tallinn, in die pittoreske Hauptstadt des nördlichsten baltischen Staates. Die alte Stadtmauer umschließt eine reichhaltige Mischung aus skandinavischer, germanischer und slawischer Architektur. Die Gebäude zeigen, wie die früheren imperialen Ambitionen der nördlichen, östlichen und westlichen Nachbarstaaten vor etwas mehr als zwanzig Jahren, nach dem Zusammenbruch des Kommunismus, zum ersten Mal einer eigenständigen estnischen Kultur Platz machen – wobei Russen allerdings noch heute knapp ein Viertel der Bevölkerung ausmachen.
In enger Nachbarschaft zu den orthodoxen, lutherischen und katholischen Kirchen liegen pseudorustikale Touristenlokale, und nach einer herzhaften Mahlzeit kann man den Abend beim Tanzen in eleganten Nachtclubs ausklingen lassen. Herrenabende betrunkener junger Engländer finden in Estland nicht so häufig statt wie im benachbarten Lettland, aber auch dieses Land hat seine halbseidene Seite. Einer der Clubs ist die Depeche Mode Bar, die ausschließlich Lieder der namengebenden Achtziger-Jahre-Band aus Essex spielt und sich als Tempel für das kulturelle Erbe Großbritanniens aus der Frühzeit von Margaret Thatcher herausgeputzt hat.
Bei meiner Ankunft wurde Tallinns seltsame, aber aufgeschlossene Atmosphäre noch dadurch verstärkt, dass ich nur eine Woche vor der Sommersonnenwende und dem Anbruch der sagenumwobenen weißen Nächte eintraf. Um diese Zeit wird es erst nach Mitternacht dunkel, und eineinhalb Stunden später dämmert bereits der Morgen. Eine Woche später ist es rund um die Uhr hell.
Die chaotische Drehscheibe aus imperialen Ambitionen, eigenartigen modernen Kultursinnbildern und träumerischem Licht bildet die ideale Kulisse für die Jahrestagung des Cooperative Cyber Defence Centre of Excellence ( CCDOE ), einer von der NATO finanzierten Institution, die alle Aspekte der Cyber-Kriegführung erforscht. Unter den Konferenzteilnehmern befinden sich Menschen mit Pferdeschwänzen und Nickelbrillen, die mit uniformierten Militärexperten voller Ernst Informationen über » SQL -Injektionsgefährdungen« austauschen, während beamtete Anzugträger mit jungen Männern in Jeans und T-Shirt fachsimpeln, die ihnen die Ungesetzlichkeit von »Man-in-the-middle-Angriffen« erläutern.
Um die Vielgestaltigkeit im Wunderland der Cybersicherheit auch nur ansatzweise verstehen zu können, muss man bereit sein, unzählige neue Begriffe zu erlernen. Anderenfalls wird man unter Umständen Zeuge einer Unterhaltung, die zwar, was Grundwortschatz und Grammatik angeht, zweifellos auf Englisch geführt wird, sich aber für jeden, der das Fachchinesisch nicht versteht, völlig sinnlos anhört. Natürlich ist es peinlich, wenn man bei denen, die diese Sprache beherrschen, nachfragen muss, warum ein »Pufferüberlauf« beunruhigende Folgen für die Sicherheit eines Netzwerks haben kann, aber Computerfreaks sind meistens eher locker drauf und geben gern Auskunft.
Estland ist zwar klein, aber dennoch das am dichtesten verkabelte Land Europas und hinsichtlich seines digitalen Standards einer der weltweit führenden Staaten. Dort wurde unter anderem der Internettelefondienst Skype erfunden. An den meisten Stellen findet man kostenlose WLAN -Zugangspunkte, und der Internetzugang gilt nicht als Privileg, sondern als Grundrecht. In Estland findet man kein Hotel, das dem Gast für die Verbindung zum Web ins Portemonnaie greift.
Mit Hillar Aarelaid unterhielt ich mich allerdings nicht über Estlands fortschrittliche Lebensweise, sondern über seine sagenumwobene Stellung in der schnell wachsenden Geschichte der digitalen Konflikte.
Anfang 2007 erklärte die estnische Regierung, sie wolle das Denkmal für die Gefallenen der Roten Armee während der Großen Patriotischen Krieges (wie der Zweite Weltkrieg in Russland genannt wird) von seinem Standort im Herzen Tallinns auf den Hauptfriedhof verlegen, der ebenfalls nicht weit vom Stadtzentrum entfernt ist. Russland und seine politische Führung sahen darin eine unerträgliche Beleidigung, ja sogar einen Beweis für das Wiederaufleben des faschistischen estnischen Nationalismus (bei allen 750.000 Esten) und einen Affront gegenüber den Soldaten der Roten Armee, die ihr Leben geopfert hatten, um Estland vom Joch der Naziherrschaft zu befreien.
Der Streit um den Bronzesoldaten eskalierte. Russische
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