Cyberspace
hatten sie, um Lücken zu füllen, alte Nachrichtenmagazine im Lokalsender gezeigt.
Da saß man nun mit seinem Erdnußmus-Sandwich und einem Glas Milch, und ein von
atmosphärischem Rauschen unterlegter Hollywood-Bariton erzählte dir was von einem
Fliegenden Auto in deiner Zukunft. Und drei Detroiter Ingenieure werkelten an so'nem großen alten Nash mit Flügeln herum, und du sahst das Ding hektisch über eine leere Startbahn in Michigan düsen. Du konntest zwar nicht wirklich sehen, daß es abhob, trotzdem flog's
schnurstracks in Dialta Downes' Niemalsland, der wahren Heimat einer ganzen Generation von völlig enthemmten Technophilen. Sie redete über die »futuristische« Architektur der Dreißiger und Vierziger, an der man täglich achtlos vorübergeht in den amerikanischen Städten: die
Kinomarkisen sind gerippt, um eine geheimnisvolle Energie auszustrahlen, die Ramschläden sind mit geriffeltem Alu verblendet, die verchromten Stahlrohrstühle im Foyer der Durchgangshotels verstauben. Sie sah diese Dinge als Teile einer Traumwelt, denen man in der gleichgültigen Gegenwart keine Beachtung mehr schenkte; ich sollte diese Dinge für sie ablichten.
In den Dreißigern trat die erste Generation amerikanischer Industrie-Designer auf. Bis zu den Dreißigern hatten alle Bleistiftspitzer wie Bleistiftspitzer ausgesehen - im Prinzip die gleiche viktorianische Vorrichtung, höchstens mit ein paar Schnörkeln verziert. Nach der Ankunft der Designer sah so mancher Bleistiftspitzer aus, als stammte er aus dem Windkanal. Dabei waren die Veränderungen meist nur oberflächlich; unter der schnittigen Chromhülle fand sich der gleiche viktorianische Mechanismus. Was nicht weiter verwunderte, da die erfolgreichsten
amerikanischen Designer sich aus den Reihen der Bühnenbildner des Broadway rekrutierten. Es war alles Bühnenbild, aufwendige Kulisse für das spielerische Erleben der Zukunft.
Beim Kaffee zog Cohen ein dickes Manilapapierkuvert voller Hochglanzbilder hervor. Ich sah die geflügelten Statuen, die über den Hoover Dam wachen, zwölf-Meter-Figuren, die sich
standhaft einem imaginären Hurricane entgegenstellen. Ich sah ein Dutzend Aufnahmen des
Johnson's Wax-Gebäudes von Frank Lloyd Wright in unmittelbarer Nachbarschaft zu
Titelbildern alter $PD]LQJ Ston'es-Hefte, die ein gewisser Frank R. Paul gemalt hatte. Die Angestellten von Johnson's Wax mußten glauben, mitten in eine aufgesprühte Pulp-Utopie von Paul zu treten. Wrights Gebäude sah aus, als wäre es für Menschen in weißer Toga und Lucite-Sandalen geschaffen. Ins Zögern kam ich bei einer besonders grandiosen Skizze eines Flugzeugs mit Propellerantrieb, das nur aus Flügel bestand und einem riesigen, symmetrischen Bumerang glich und an unwahrscheinlichen Stellen Fenster aufwies. Mit Pfeilen waren die Lage des
Großen Ballsaals und der beiden Squash Courts bezeichnet. Als Jahreszahl war 1936 angegeben.
»Dieses Ding hätte nie fliegen können ...?« Ich sah zu Dialta Downes.
»Oh, nein, ganz unmöglich, auch nicht mit den zwölf riesigen Propellern. Aber das Bild gefiel, nicht wahr? New York - London in weniger als zwei Tagen, erstklassige Bord-restaurants,
Einzelkabinen, Sonnendecks, abends Tanz zur Jazz Band ... Die Designer waren Populisten, nicht wahr? Sie versuchten, den Leuten zu geben, was sie wollten. Und die Leute wollten Zukunft.«
Ich war seit drei Tagen in Burbank und versuchte, einem echt öd dreinblickenden Rocker
Charisma einzuflößen, als ich Cohens Päckchen bekam. Es ist möglich, zu fotografieren, was nicht da ist; es ist nur verdammt schwer und demzufolge besonders marketingfähig. Obwohl ich in der Beziehung nicht schlecht bin, ist es nicht gerade meine Stärke; der arme Kerl strapazierte die Glaubwürdigkeit meiner Nikon. Der Job war ein Frust für mich, weil ich gern eine gute Arbeit abliefere, aber nicht nur Frust, weil ich schon den Scheck für den Auftrag in der Tasche hatte und mir vornahm, mich am künstlerisch anspruchsvollen Barris-Watford-Projekt wieder aufzubauen. Cohen hatte mir einige Bücher über das Design der dreißiger Jahre, weitere Fotos von stromlinienförmigen Bauten und eine Liste mit Dialta Downes' fünfzig Lieblingsbeispielen dieses Stils in Kalifornien geschickt. Architekturaufnahmen können zeitaufwendig sein; das Gebäude wird quasi zur Sonnenuhr, während du darauf wartest, daß der Schatten von einem
Detail weicht, das du festhalten willst, oder die Masse und Balance der Struktur sich in einer
Weitere Kostenlose Bücher