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Cyberspace

Cyberspace

Titel: Cyberspace Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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diese blöde Architektur nachgedacht, phantasiert ... Schau, ich wette, du hast dein Teil an Drogen reingezogen, richtig? Wie viele Kalifornier haben die Sechziger ohne Halluzination überstanden?
    Denk nur an die vielen Nächte, wo man feststellte, daß ganze Armeen von Disneyschen
    Trickkünstlern damit beschäftigt waren, belebte Hologramme ägyptischer Hieroglyphen in den Stoff deiner Jeans zu sticken, ja, oder an die vielen ...«
    »Aber so war's nicht.«
    »Natürlich nicht. Es war ganz und gar nicht so; es war alles klar in die Realität eingebettet, nicht wahr? Alles war normal, und dann erscheint das Monster, das Mandala, die Neon-zigarre. In deinem Fall ein riesiger Tom Swift-Flieger. Es passiert DQGDXHUQG Du bist nicht mal verrückt.
    Das weißt du auch, nicht wahr?« Er angelte sich ein Bier aus der abgestoßenen Styropor—
    Kühlbox neben seinem Liegestuhl.
    »Letzte Woche war ich in Virginia. Grayson County. Ich unterhielt mich mit einer
    Sechzehnjährigen, die ein Bärhaupt angefallen hatte.«
    »Ein ZDV"©
    »Ein Bärhaupt. Abgetrenntes Haupt eines Bären. Das Bärhaupt schwirrte mit seiner kleinen
    fliegenden Untertasse herum, die aussah wie 'ne alte Caddy-Radkappe. Es hatte rotglühende Augen, die abstanden wie Zigarrenstummel, und verchromte Teleskopantennen, die hinter den Ohren aufragten.« Er rülpste.
    »Und es ist über sie hergefallen? Wie?«
    »Das ist nichts für sanfte Gemüter, wie du offenbar eins bist. >Es war kalt<« - er verfiel wieder in seinen schlimmen südlichen Akzent - »>und metallische Es machte elektronische Geräusche.
    Sache dabei ist, es kommt schnurstracks aus dem kollektiven Unbewußten, Freund; das Mädel ist
    'ne Hexe. Es gibt halt keinen funktionellen Platz für sie in dieser Gesellschaft. Es wäre ihr der Teufel erschienen, wäre sie nicht mit >The Bionic Man< und den vielen >Star Trek<-
    Wiederholungen groß geworden. Sie orientiert sich daran. Und sie weiß, daß es ihr passiert ist.
    Ich war keine zehn Minuten draußen, als die strammen UFO-Knaben mit dem Polygraphen
    auftauchten.«
    Ich muß ein gequältes Gesicht gemacht haben, denn er stellte sein Bier vorsichtig neben der Kühlbox ab und setzte sich auf.
    »Wenn du eine klassische Erklärung hören willst, dann würde ich sagen, du hast einen
    semiotischen Spuk gesehen. All diese Kontakt-Geschichten sind beispielsweise in sci-fi-mäßige Vorstellungen eingebettet, von denen unsre Kultur durchdrungen ist. Ich könnte Aliens kaufen, aber keine Aliens, die aussehen wie in den Comics der Fünfziger. Sie sind semiotische
    Phantome, die dem tiefverwurzelten Gedankengut unsrer Kultur entspringen, sich irgendwie
    absondern und ein eigenständiges Leben annehmen wie etwa Jules Vernes Luftschiffe, die
    ständig von alten Farmern in Kansas gesichtet wurden. Nun hast du eine andere Art von Spuk gesehen, das ist alles. Dieses Flugzeug war einmal Teil des kollektiven Unbewußten. Irgendwie bist du wieder darauf gestoßen. Wichtig ist jetzt, daß du dir deshalb keine Gedanken machst.«
    Freilich machte ich mir Sorgen.
    Kihn kämmte sich das schütter gewordene blonde Haar und brach auf, um sich anzuhören, was man derzeit von Drüben per Mikrowellenherd verlauten ließ. Ich zog in meinem Zimmer die
    Vorhänge zu und legte mich in die klimatisierte Dunkelheit, um mir Gedanken zu machen. Ich machte mir beim Aufwachen immer noch Gedanken. Kihn hatte eine Nachricht an meiner Tür
    hinterlassen; er fliege in einer Chartermaschine in den Norden, um der Meldung von einer Vieh-Verstümmelung nachzugehen (»Stummel« nannte er sie; noch so eine journalistische Spezialität von ihm).
    Ich aß was, duschte, schluckte eine bröselnde Appetitzüglerpille, die seit drei Jahren in meinem Waschbeutel herumlag, und machte mich auf den Weg nach Los Angeles.
    Das Speed begrenzte mein Blickfeld auf die Lichtkegel meines Toyota. Der Körper kann fahren, sagte ich mir, während der Verstand die Stellung hält. Die Stellung hielt und die irre
    peripherische Deko aus Amphetamin und Erschöpfung mied, die spektrale, leuchtende Flora, die auf nächtlichen Autobahnen am Rande des geistigen Augenwinkels aufschießt. Aber der
    Verstand hatte eigene Ideen, und unablässig kreiste mir in straffem, schiefem Orbit Kihns Meinung zu dem, was ich bereits als mein »Gesicht« betrachtete, durch den Kopf. Semiotischer Spuk. Fragmente des Kollektivtraums, die im Fahrtwind vorüberhuschten. Irgendwie verstärkte diese Feedback-Schleife den Appetitzügler, und die

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