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Cyberspace

Cyberspace

Titel: Cyberspace Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Normalität.
    »Kleines Leck in Delta drei.« Er runzelte die Stirn. »Verstehst du Japanisch?« Der Klempner zog eine Kassette aus einer der dutzend ausgebeulten Taschen an seiner dreckigen Arbeits-weste und fuchtelte ihm damit vor der Nase herum. Er trug eine sorgfältig gebügelte Levis und
    ausgelatschte Adidas-Laufschuhe. »Haben das letzte Nacht aufgeschnappt.«
    Korolew wich zurück, als wäre die Kassette eine Waffe. »Nein, kann kein Japanisch.« Sein
    frommer Tonfall über-raschte ihn selber. »Nur Englisch und Polnisch.« Er spürte, daß er rot wurde. Der Klempner war sein Freund; er kannte den Klempner gut und vertraute ihm, aber ...
    »Alles klar mit dir?« Der Klempner legte die Kassette ein und tippte mit flinken, schwieligen Fingern ein Wörterbuchprogramm in die Maschine. »Siehst aus, als hättest du was Unrechtes gegessen. Hör dir das mal an!«
    Korolew verfolgte nervös, wie flimmernd das Bild kam mitten in einer Reklame für Baseball-Handschuhe. Die kyrillischen Untertitel vom Wörterbuchprogramm rasten über den Bildschirm, während ein japanischer Sprecher wie ein Irrer seine Anpreisungen vom Stapel ließ.
    »Gleich gehn die Nachrichten los«, sagte der Klempner nägelkauend.
    Korolew starrte gespannt auf den Text, der durchs Gesicht des japanischen Sprechers lief: AMERIKANISCHE ABRÜSTUNGSGRUPPE MELDET ... DIE VORKEHRUNGEN IM
    BAIKONUR-KOSMODROM BEDEUTEN ... DASS MAN ENDLICH DARAN GEHT ... DIE
    BEWAFFNETE KOSMISCHE RAUMSTATION ZU VERSCHROTTEN ...
    »Kosmisch«, meinte der Klempner. »Fehler im Wörterbuchprogramm .«
    DIE ZUR JAHRHUNDERTWENDE ALS BRÜCKENKOPF INS ALL GEBAUT WORDEN
    IST ... DAS AUFWENDIGE PROJEKT SCHEITERTE MIT DEN MONDMINEN ... DIE
    KOSTENINTENSIVE STATION IST LÄNGST VERALTET ANGESICHTS UNSRER
    UNBEMANNTEN WELTRAUM-FABRIKEN ... DIE KRISTALLE, HALBLEITER UND
    REINE DROGEN UND ARZNEIMITTEL ERZEUGEN ...
    »Klugscheißer« Der Klempner prustete. »Ich sag, da hat dieser Scheiß KGB-Mann Jefremow die Hand im Spiel.«
    GRAVIERENDES SOWJETISCHES AUSSENHANDELS-DEFIZIT ... ALLGEMEINE
    UNZUFRIEDENHEIT MIT DEM WELTRAUMPROGRAMM ... JÜNGSTE BESCHLOSSE
    DES POLITBÜROS UND DES SEKRETÄRS DES ZENTRALKOMITEES ...
    »Die machen hier dicht!« Der Klempner verzog wütend das Gesicht.
    Korolew, der zuckte und zitterte, wandte sich vom Bildschirm ab. Tränen schössen ihm in die Augen und perlten schwerelos von den Wimpern. »Laß mich in Ruhe damit! Ich kann's nicht
    ändern!«
    »Was hast du denn?« Der Klempner packte ihn an der Schulter. »Schau mir in die Augen.
    Jemand hat dich mit der )XUFKW geimpft!«
    »Verschwinde«, bat Korolew.
    »Dieser Fiesling mit seinem faulen Zauber! Was hat er dir gegeben? Tabletten? Eine Spritze?«
    Korolew schauderte. »Ich habe getrunken.«
    »Er hat dir GLH )XUFKW gegeben! Einem alten Mann wie dir! Ich brech ihm das Kreuz!« Der
    Klempner zog die Knie an, machte eine Rolle rückwärts, stieß sich von einem Haltegriff oben ab und katapultierte sich aus dem Raum hinaus.
    »Warte! Klempner!« Aber der Klempner flitzte wie ein Wiesel durch die Kugel und verschwand im Korridor. Jetzt merkte Korolew, daß er das Alleinsein nicht ertrug. In der Ferne hörte er das hohle Echo verzerrter, aufgebrachter Stimmen.
    Zitternd schloß er die Augen und wartete, daß ihm jemand zu Hilfe käme.
    Er hatte den Psychiatrischen Offizier Bychkow gebeten, ihm zu helfen beim Anziehen der alten Uniform, der mit dem Stern des Tsiolkowsky-Ordens über der linken Brusttasche. Die schwarzen Paradestiefel aus dickem, gestepptem Nylon mit der Klettbandsohle paßten ihm nicht mehr; also blieben seine verkrüppelten Füße bloß.
    Bychkows Injektion hatte ihn binnen einer Stunde wieder auf die Beine gestellt, aber machte ihn abwechselnd depressiv und fuchsteufelswild. Nun wartete er im Museum, um Jefremow Rede
    und Antwort zu stehen.
    Sie bezeichneten sein Heim als Museum des sowjetischen Triumphs im Weltraum, und als seine Wut verpuffte und einer alten Trostlosigkeit Platz machte, kam er sich selber vor wie eins seiner Ausstellungsstücke. Er starrte betrübt auf die goldgerahmten Porträts der großen Visionäre des Weltraums, auf Tsiolkowsky, Rynin, Tupolew. Darunter hingen, ein klein wenig schlichter
    gerahmt, die Porträts von Verne, Goddard und O'Neill.
    In Augenblicken tiefster Depression hatte er sich zuweilen eingebildet, einen gemeinsamen Zug, ein fremdartiges Entrücktsein in diesen Augen, insbesondere in den Augen der beiden Amis, zu sehen. War es der blanke Wahnsinn, wie er

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