Cyberspace
Agenten einschalten, der sie anrief und ihnen die Hölle heiß machte, woraufhin sich ihre Bedenken anscheinend legten. Ich hatte gar nicht gewußt, daß Rubin einen Agenten hatte. Es war leicht zu übersehen, daß Rubin Stark
damals berühmter war als jeder andere, den ich kannte, jedenfalls berühmter, als Lise meiner Meinung nach je werden würde. Ich wußte, daß wir an einer starken Sache arbeiteten, aber du weißt eben nie, wie groß etwas tatsächlich rauskommen wird.
Aber in dieser Zeit bei Pilot war ich voll drauf. Lise war faszinierend.
Ich hatte den Eindruck, sie sei in diese Form hineingeboren, obwohl die Technologie, die diese Form möglich machte, bei ihrer Geburt noch gar nicht existiert hatte. Wenn du so was erlebst, fragst du dich, wieviele tausend, vielleicht sogar Millionen begnadete Künstler im Laufe der Jahrhunderte stumm gestorben sind. Leute, die nie zum Dichter oder Maler oder Saxophonspieler werden konnten, aber das Zeug dazu in sich hatten, die psychischen Schwingungen, die zur
Umsetzung der entsprechenden Elektronik bedurft hätten ...
Ich erfuhr beiläufig ein bißchen was über sie während der gemeinsamen Zeit im Studio. Daß sie in Windsor geboren war. Daß ihr Vater Amerikaner war und in Peru gedient hatte und
wahnsinnig und halb blind heimgekommen war. Daß ihr Leiden angeboren war. Daß sie diese
Schürfstellen hatte, weil sie das Hautskelett nie abnehmen wollte, denn schon der Gedanke an die totale Hilflosigkeit würde ihr die Kehle zuschnüren und sie umbringen. Daß sie von Wizz
abhängig war und täglich so viel reinzog, daß damit eine ganze Fußballmannschaft
hochzupowern wäre.
Ihre Agenten schleppten Ärzte an, die das Polykarbonat mit Schaumstoff auspolsterten und die Wundstellen mit mikro-porösem Pflaster verschlossen. Sie pumpten sie mit Vitaminen voll und versuchten, ihre Ernährung umzustellen, aber keiner versuchte je, ihr den Inhalator
wegzunehmen.
Sie schleppten Frisöre an und dazu noch Visagisten, Modeberater und Image-Pfleger und kleine Werbehamster, die sich Gehör zu verschaffen verstanden. All das ließ sie mit einer Miene über sich ergehen, die beinahe an Lächeln erinnerte.
Während dieser drei Wochen redeten wir nicht. Nur Studio-Gequatsche, der eher stenografische Austausch zwischen Studio und Pult. Ihre Vorstellungskraft war so groß, so extrem, daß sie mir gelieferte Effekte tatsächlich nie erklären mußte. Ich nahm, was sie rüberbrachte, überarbeitete es und speiste es an sie zurück. Sie brauchte nur ja oder nein zu sagen, und normalerweise war's ein Ja. Die Agenten nahmen wohlwollend davon Kenntnis, klopften Max auf die Schulter und
führten ihn zum Essen aus, und mein Gehalt kletterte in die Höhe.
Und ich war ein Profi, durch und durch. Hilfsbereit und sorgfältig und freundlich. Ich war zum Durchhalten entschlossen und dachte nicht mehr an die Nacht, in der ich geheult hatte. Ich arbeitete besser denn je und wußte das, und das allein schon macht dich high.
Und eines Morgens dann, es war gegen sechs, und wir hatten eine endlos lange Session hinter uns - in der sie zum ersten Mal die schaurige Kotillon-Szene rüberbrachte, die von den Teenies
>Geistertanz< genannt wird -, plauderte sie mit mir. Einer der beiden Agentenknaben war zähnebleckend dabei gewesen, inzwischen aber gegangen. Bei Pilot war es totenstill, nur ein Ventilator surrte irgendwo hinten beim Büro von Max.
»Casey, tut mir leid, daß ich dich so hart hergenommen habe«, sagte sie. Ihre Stimme war heiser vom Wizz.
Ich dachte 'ne Weile, sie meine die Aufnahme, die wir gerade gemacht hatten. Als ich zu ihr blickte, fiel mir plötzlich auf, daß wir schon seit dem Demo nicht mehr allein gewesen waren wie jetzt.
Ich hatte überhaupt keine Ahnung, was ich sagen sollte. Wußte nicht mal, was ich empfand.
Vom Hautskelett gestützt, stand sie da und sah schlechter aus als in der ersten Nacht bei Rubin.
Das Wizz fraß sie auf unter dem Zeug, das die Visagisten ständig draufschmierten, und
manchmal war mir so, als sähe ich einen Totenkopf unter einem nicht allzu hübschen
Teenagergesicht. Ich hatte keine Ahnung, wie alt sie eigentlich war. Weder alt noch jung.
»Gewöhnungseffekt«, sagte ich, während ich ein Stück Kabel aufrollte.
»Was ist'n das?«
»Der natürliche Indikator dafür, daß du mit dem Zeug auf-räumen solltest. Ist 'ne Art
mathematisches Gesetz, das besagt, ein bestimmtes Stimulans X törnt dich nur soundso oft an, selbst wenn du die Dosis
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