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Cyberspace

Cyberspace

Titel: Cyberspace Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Zeit, dem Abhilfe zu schaffen.
    Die Burritos schmeckten wie Pappe, aber ich beschloß, sie mit Genuß zu essen, weil sie so stinknormal waren. Mein Wagen war in Burnaby, wo die leckgeschlagene Wasserstoffzelle
    abgedichtet wurde, also brauchte ich mir wegen der Fahrerei keine Sorgen zu machen. Ich könnte ausgehen und feiern und mich morgen früh krank melden. Max würde keine Zähne zeigen; ich
    war sein Star. Er stand in meiner Schuld.
    Stehst in meiner Schuld, Max, sagte ich zur eiskalten Flasche Moskovskaya, die ich aus dem Gefrierfach fischte. Du wirst immer in meiner Schuld stehn. Drei Wochen hab ich grade die Träume und Alpträume einer total verkorksten Frau bearbeitet, Max. In deinem Namen. Damit du reich und wohlhabend wirst. Ich goß drei Zentimeter Wodka ins Plastikglas, Überbleibsel einer Party, die ich im letzten Jahr geschmissen hatte, und ging ins Wohnzimmer zurück.
    Manchmal habe ich den Eindruck, als würde hier niemand Besonderes leben. Nicht daß es so
    unordentlich wäre; Hausarbeiten gehen mir gut, wenn auch ein bißchen mechanisch, von der
    Hand. Ich denke sogar ans Abstauben der Bilderrahmen und so. Aber dann habe ich Zeiten, wo die ganze Bude mir ein schauriges Gefühl einjagt mit seiner Grundausstattung an grundlegenden Konsumgütern. Ich meine, es ist nicht so, daß ich die Bude mit Katzen und Zimmerpflanzen und dergleichen vollstopfen möchte, aber es gibt Momente, wo ich feststelle, daß hier jedermann wohnen könnte, jedermann das alles besitzen könnte, daß alles schlicht austauschbar erscheint, mein Leben und deins, meins und jedermanns ...
    Ich glaube, Rubin sieht die Dinge grundsätzlich auch so, aber er schöpft Kraft daraus. Er lebt im Müll andrer Leute, und alles, was er anschleppt, war einmal neu und hat, wenn auch nur flüchtig, jemandem mal was bedeutet. So packt er also alles auf seinen verrückten Laster und schafft es heim, wo er es kompostiert, bis ihm eine neue Verwendung dafür einfällt. Einmal zeigte er mir ein Buch über Kunst im zwanzigsten Jahrhundert, die ihm gefiel und da war ein Bild drin von einem beweglichen Objekt mit dem Titel 7RWH 9|JHO IOLHJHQ ZLHGHU Echte tote Vögel an einem Strick drehten sich um das Ding. Rubin nickte lächelnd dazu, und mir wurde klar, daß er den Künstler irgendwie als seinen geistigen Vorläufer betrachtete. Aber was könnte Rubin schon aus meinen gerahmten Posters und meinem mexikanischen Futon und meinem Schaum-stoffbett von
    Ikea machen? Tja, sagte ich mir, als ich den ersten kalten Schluck nahm, ihm würde schon was einfallen. Darum war er ein berühmter Künstler, und ich nicht.
    Ich drückte die Stirn an die Fensterscheibe, die so kalt wie das Glas in meiner Hand war. Zeit zum Gehen, sagte ich mir. Du zeigst Symptome der großstädtischen Single-Angst. Das läßt sich kurieren. Trink aus! Geh!
    Ich kam in dieser Nacht nicht in Stimmung. Aber ich erwies mich auch nicht als erwachsen und vernünftig genug, aufzugeben und heimzugehn, um mir einen alten Film reinzuziehn und auf
    meinem Futon einzupennen. Die Anspannung, die sich in den drei Wochen in mir aufgestaut
    hatte, trieb mich weiter wie die Feder einer mechanischen Uhr, und ich schlenderte durch die nächtliche Stadt und sorgte auf dieser mehr oder weniger ziellosen Tour mit weiteren Drinks für die nötige Schmierung. Es sind solche Nächte, stellte ich bald fest, wo du in ein anderes Kontinuum schlüpfst, eine Stadt, die genauso aussieht wie die, in der du lebst, aber die
    Besonderheit aufweist, daß es in ihr keinen Menschen gibt, den du kennst oder liebst oder schon mal gesprochen hast. In solchen Nächten kannst du in eine Stammkneipe gehn und stellst fest, daß das Personal gerade ausgetauscht worden ist; dann erkennst du, daß du nur deshalb
    reingegangen bist, um das vertraute Gesicht einer Bedienung, eines Barkeepers oder so zu sehn
    ... So was dämpft bekanntlich die Lust zum Feiern.
    Trotzdem schleppte ich mich durch sechs bis acht Lokale und landete schließlich in einem West End Club, der aussah, als sei er seit den Neunzigern nicht mehr renoviert worden. Eine Menge verchromtes, abblätterndes Plastik, unscharfe Hologramme, die dir beim Hinsehen Kopfweh machen. Ich glaube, Barry hat mir mal von dem Lokal erzählt, obwohl ich mir nicht vorstellen kann warum. Ich sah mich grinsend um. Wenn ich schon auf Depri-Einheiten aus war, dann war das der richtige Ort. Ja, sagte ich mir, als ich mir am Ende des Tresens einen Stuhl schnappte, es ist echt traurig hier,

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