Cyberspace
Koloß, der sich in einen zerbrechlich wirkenden Stahlrohrstuhl zwängte. Sein khakibraunes Arbeitshemd hätte an Deke wie ein Segel geschlottert, aber den aufgedunsenen Torso umspannte es so straff, daß jeden Moment die Knöpfe abzuspringen drohten. Deke dachte an Trooper aus dem Süden, die er auf dem Weg herunter gesehen hatte; an die komischen, dickwanstigen
Endotypen, die auf dünnen, scheinbar von einem Mitmenschen ausgeborgten Beinen
einherschwanken. So hätte Tiny wohl ausgesehen, wenn er aufgestanden wäre, aber noch
extremer. Der 40-inch-Bund einer Jeans brauchte eine Stahlgeflechtverstärkung, um die
aufgeblähten Massen zusammenzuhalten. Falls Tiny überhaupt stehen konnte - denn nun sah
Deke, daß seine blitzende Unterlage ein Rollstuhl war. Sein Gesicht hatte etwas unangenehm Kindliches an sich, erschreckend jugendliche und geradezu schöne Züge, die vor lauter Backen untergingen. Verlegen schaute Deke weg. Der andere Mann, der gegenüber von Tiny am Tisch
stand, hatte buschige Koteletten und einen schmalen Mund. Er versuchte anscheinend, etwas mit Blicken voranzutreiben, denn um seine Augen reihten sich tiefe Falten der Konzentration.
»Blödmann!« Der Mann mit der Peterbilt-Münze wandte sich um und sah erst jetzt Dekes
Proletarier-Bluejeans, die Messingketten an seinen Handgelenken. »Mach 'ne Flatter, du
Wichser! Dein Typ ist hier nicht gefragt.« Er wandte sich wieder dem Nahkampf zu.
Es wurde gewettet. Die Spieler zückten harte, bare Münze, alte Dollar mit Freiheitsstempel und Zehncentstücke mit Roosevelt aus den Münzprägeshops, während die eher vorsichtigen
Zuschauer antike, in Plastikfolie verschweißte Papierdollar auf den Tisch legten. Durch den Dunst stieg eine Dreierformation aus roten Fliegern auf. Fokker D VII. Es wurde still im Raum.
Die Fokker kreisten majestätisch unter der Sonnenkugel einer 200-Watt-Birne.
Die blaue Spad tauchte aus dem Nichts auf. Zwei weitere folgten, von der düsteren Decke
kommend, dicht hinterher. Die Spieler fluchten, und einer kicherte. Die Formation löste sich auf.
Eine Fokker raste knapp über dem Filz dahin, konnte die Spad aber nicht abhängen. Zornig
flatterte sie im Zickzack über die grüne Ebene, aber es half nichts. Schließlich stieg sie, vom Feind dicht gefolgt, steil nach oben, überzog aber und konnte das Durchsacken wegen der
geringen Höhe nicht mehr abfangen.
Ein Stapel silberner Zehncentstücke wurde als Gewinn eingesackt.
Die Fokker waren nun zahlenmäßig unterlegen. Eine Maschine hatte zwei Spads auf den Fersen.
Sie schwenkte nach rechts, vollführte eine Immelmann-Wendung und placierte sich hinter einem ihrer Verfolger. Sie feuerte, und der Doppeldecker stürzte trudelnd
»Gibt noch viel zu tun, Tiny!« Die Spieler drängten sich um den Tisch.
Deke war vor Staunen erstarrt. Er fühlte sich wie neu geboren.
Frank's Truck Stop lag zwei Meilen außerhalb der Stadt an einer dem gewerblichen Verkehr
vorbehaltenen Straße. Auf dem Weg in die Stadt hatte Deke vom Bus den Laden aus reiner
Gewohnheit registriert. Nun latschte er zwischen Verkehr und betonierter Fahrbahnbegrenzung zurück. Unüberhörbare Trucks brausten vorbei, dicke Brummer, deren Fahrtwind ihn jedesmal umzuwerfen drohte. Ein Truck Stop an einer gewerblichen Strecke war immer leichtes Spiel.
Wenn er ins Frank's spazierte, würde keiner daran zweifeln, daß er von einem der Brummis
käme, wodurch er reichlich Gelegenheit hätte, den Kiosk auszuweiden. Das Elektronik-Regal mit den Wetware-Wafer-Projektoren stand zwischen einem Stapel koreanischer Cowboy-Hemden
und einem Dekoständer mit Fuzz Buster-Schutzblechen. Ein orien-talisches Drachenpaar
schlängelte sich über dem Regal durch die Luft; ob es kämpfte oder bumste, das konnte er nicht sagen. Das gewünschte Spiel war da: ein Wafer mit der Aufschrift SPAD & FOKKER. Es
dauerte keine drei Sekunden, bis er's geklaut hatte, und noch weniger, bis er den Magneten - den ihm die Bullen in Washington D.C. gar nicht erst abgenommen hatten - über den
Universalsicherheits-streifen geführt hatte.
Auf dem Weg hinaus klaute er zwei Programmiergeräte und eine kleine Batang-Fernbedienung, die aussah wie ein altertümliches Hörgerät.
Er wählte die nächstbeste Herberge und tischte dem Vermieter die Story auf, die er immer
benutzte, seit sein Sozialhilfe-anspruch verwirkt war. Niemand prüfte den Sachverhalt nach; die Behörde zählte lediglich die besetzten Zimmer und zahlte.
Das Kabäuschen roch
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