Cyboria - Die geheime Stadt
unsere Beziehung in einer Tragödie enden wird, wie bei Othello.« Medea sah aus dem Fenster, ihr war gar nicht wohl.
Die rote Abendsonne verschwand langsam hinter dem Horizont.
»Du solltest dich jetzt auf den Weg nach Hause machen, du kannst das Fahrrad nehmen. Hast du eigentlich deine Eltern angerufen?«
»Die sind mir im Moment egal. Ich will wissen, wie man nach Cyboria kommt!«
Otto kauerte vor Galeno auf dem Teppich, als wäre es das Normalste der Welt. Medea schüttelte den Kopf und ging ins Badezimmer, um sich zurechtzumachen. Obwohl sie es mit eigenen Augen sah, konnte sie es immer noch nicht glauben.
Als sie wieder ins Wohnzimmer kam, fragte ihr Neffe: »Hast du das gehört?«
»Was sollte ich gehört haben?«
»Galeno ist darauf programmiert, dass er uns in die Neue Stadt bringt, aber wir müssen ihn erst überzeugen.«
»Und wie soll das gehen?«
»Wir müssen ihm beweisen, dass wir uns als Bewohner eignen«, antwortete Otto, »das heißt, wir müssen eine Art Prüfung machen.«
»Aha.« Medea lächelte gequält und ließ sich in einen alten Sessel sinken. »Eine Art Aufnahmeprüfung … um zu sehen, ob wir Einwohner der Stadt werden dürfen?«
»Genau!«, bestätigte Otto zufrieden.
»Hast du schon herausgefunden, worin diese Prüfung genau besteht?«
»Ja – Galeno, am besten erklärst du es ihr.«
»Ihr müsst nur eine einzige Frage beantworten. Wie viele Zahnräder der Intelligenz gibt es, bitte?«, fragte der Roboter mit metallischer Stimme.
»Das ist alles?«
»Das ist alles«, antwortete Otto.
Medea fuhr sich durch die Haare. »Wo habe ich schon mal davon gehört?«
»Ganz einfach«, erwiderte Otto und sah sie herausfordernd an.
»Zischs Buch!«
» Das Räderwerk der Intelligenz! Wir müssen uns unbedingt ein Exemplar beschaffen.«
Medea warf einen besorgten Blick auf die Uhr. »Das müssen wir unbedingt, Otto … Und du fährst jetzt schnellstens nach Hause, während ich überlege, was ich koche und was ich zum Abendessen anziehe. Es ist höchste Eisenbahn, auf geht’s!«
Medea erhob sich aus dem Sessel, aber die beiden anderen bewegten sich nicht. Sie sah erst Galeno, dann Otto an und fragte: »Und was müssen wir tun, wenn wir die Antwort haben?«
Otto blickte in Galenos Glasaugen: »Ich denke, dann müssen wir sie ihm sagen, und er wird uns nach Cyboria bringen.«
In der Certosa di Calci nahm Calibano die Sonnenbrille ab, ging entschiedenen Schrittes bis zum Arbeitszimmer des Conte, klopfte kurz an und trat ein.
»Es gibt Neuigkeiten, gnädiger Herr«, begann er.
Der Conte blätterte gelangweilt in einem Buch. »Welche Art von Neuigkeiten?«
»Der Junge und die Archäologin haben sich heute im Museum mit einer seltsamen Person getroffen.«
»Was heißt ›seltsam‹?«
»Mehr kann ich nicht sagen, gnädiger Herr, die Person trug einen dunklen Mantel und einen weißen Hut.«
»Bei dieser Hitze?«
»Das habe ich auch gedacht. Ich denke, es war eine Verkleidung, um nicht erkannt zu werden.«
»Was haben sie dann gemacht?«
»Sie sind ins Auto der Archäologin gestiegen und Richtung Pisa gefahren, bis zu ihrem Haus. Dort haben sie sich lange unterhalten, kurz vor Einbruch der Dunkelheit ist der Junge aufs Rad gestiegen und losgefahren, wahrscheinlich zur Villa Folgore.«
»Und der Unbekannte?«
»Ist im Haus der Archäologin geblieben.«
»Wir müssen unbedingt herausfinden, wer er ist.« Der Conte tigerte unruhig im Zimmer auf und ab. »Besser gesagt, du musst es herausfinden … Bei der Frau, hast du gesagt? Dann kann es auch mein idiotischer Sohn klären!«
Liguana ging zum Schreibtisch und nahm den Telefonhörer ab. Er wartete einige Sekunden, dann blaffte er in die Muschel: »Hörst du? Du solltest dich jetzt besser auf den Weg machen!«
3
Lebensgefahr bei Mondlicht
O tto fuhr nach Hause. Er hatte es schon immer geliebt, im Dunkeln Fahrrad zu fahren. Der Lichtkegel der Lampe, der die Straße vor ihm erhellte, das Surren des Dynamos, wenn sich das Rädchen am Reifen drehte, die Fetzen des Nachthimmels zwischen den schwarzen Baumwipfeln, die rätselhaften Geräusche des Waldes – all das faszinierte ihn.
Aber in dieser Nacht war alles anders.
In dieser Nacht lag etwas in der Luft, das ihm Angst machte.
Die Kette klapperte rhythmisch gegen den Schutzkasten, die 28-Zoll-Räder schnurrten über den Asphalt. Otto kannte die Strecke zur Villa Folgore in- und auswendig. Bis nach Pappiana verlief alles reibungslos, alles war wie immer. Warum war er bloß so
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