Cynster 07 - Nur mit deinen Kuessen
danach den dunklen Raum durchquerte, stellte er sich eine einzige Frage:
Wie feige war er wirklich?
Vier Tage später öffnete Francesca die andere Tür zur Bibliothek einen Spalt und spähte hinein. Der zweite Eingang lag in einem Nebenkorridor, außer Sichtweite der Haupttür und der Lakaien in der Eingangshalle. Wenn sie sahen, dass sie sich der Tür näherte, würden sie sie sofort weit öffnen, was sie diesmal jedoch auf keinen Fall wollte.
Gyles saß nicht an seinem Schreibtisch in der Mitte des Zimmers. Der Stuhl dahinter war leer, aber über den Schreibtisch waren aufgeschlagene Bücher verstreut.
Francesca drückte die Tür weiter auf und prüfte den Raum. Gyles’ große Gestalt war nirgendwo zu sehen, weder an der langen Fensterreihe noch bei den Regalen.
Rasch trat sie ein und schloss leise die Tür hinter sich. Sie ging auf die nächstgelegene Ecke zu, begann bei den Bücherregalen und überflog die Titel.
Ihre Vorsicht stand in keinem direkten Zusammenhang mit ihrer Suche, denn sie tat nichts Verwerfliches. Aber sie wollte vermeiden, dass sie Gyles hier begegnete. Wenn er sie in seinem Leben nicht wollte, schon gut, sie war zu stolz, um ihn darum zu bitten. Er hatte es vorgezogen, die Zeit nach dem Abendessen ohne sie zu verbringen, und sie hatte sichergestellt, dass sie keine zeitraubenden Forderungen an ihn stellte mit Ausnahme dessen, was absolut notwendig war.
Trotzdem kam er jede Nacht zu ihr, aber das war etwas ganz anderes. Weder sie noch er wollte, dass das, was zwischen ihnen außerhalb ihres Schlafzimmers geschah, etwas mit dem zu tun hatte, was zwischen ihnen im Zimmer geschah.
Zumindest darin waren sie einer Meinung.
Sie war lange nicht mehr im Witwenhaus gewesen und hätte den Trost und die Unterstützung ihrer Schwiegermutter und Tante Henni nur zu gut gebrauchen können. Ihre erste Frage würde jedoch ihrer Ehe gelten.
Sie wusste nicht, wie sie darauf antworten sollte, konnte sich nicht vorstellen, wie sie es erklären, geschweige denn einen Sinn darin finden konnte. Seine Zurückweisung war ein Schlag für sie gewesen, trotzdem weigerte sie sich hartnäckig, die Hoffnung aufzugeben. Nicht, solange er immer noch jede Nacht zu ihr kam, solange er sie jeden Tag nachdenklich ansah, nicht missbilligend, sondern mit großer Unsicherheit, die sich in seinen grauen Augen spiegelte.
Nein, sie hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, aber sie hatte gelernt, ihn nicht zu drängen. Darin hatte Henni ganz bestimmt Recht gehabt. Er war ein verkappter Tyrann, und Tyrannen mochten es nicht, wenn man ihnen Befehle erteilte. Sie musste ihn seinen eigenen Weg finden lassen und darauf hoffen, dass er zum gewünschten Ziel führte.
Aber es war nicht einfach für sie, Geduld aufzubringen. Sie musste sich unbedingt ablenken. Sie erinnerte sich daran, dass sie die alte Bibel suchen und den Stammbaum darin kopieren wollte. Irving, den sie danach gefragt hatte, glaubte, dass die Bibel, ein großer alter Wälzer, in der Bibliothek stand, irgendwo zwischen tausenden von anderen alten Werken. Er erinnerte sich lediglich daran, dass die Bibel in rotes Leder gebunden war und der Buchrücken eine Breite von ungefähr fünf Zentimetern hatte.
Die Minuten rannen nur so dahin. Eine halbe Stunde verging, und sie hatte den riesigen Raum bereits durchsucht. Normalerweise hätte es länger gedauert, aber auf den Regalen standen nur wenige große Bücher. Auf den Hauptregalen stand kein Buch, das so groß war wie die Bibel. Jetzt musste sie noch die Regale auf der Galerie durchsuchen.
Die Galerie war über dem Seitenkorridor errichtet worden, durch den sie gekommen war, und von einer Mauer umgeben. Von einer Ecke im Hauptraum führte eine Wendeltreppe zu einem Torbogen. Francesca trat hindurch und blickte in den schmalen Raum hinunter, der vom Boden bis zur Decke voller Bücherregale stand. In der Mitte des Raums ragte eine deckenhohe Trennwand mit Regalen in den Raum hinein und teilte ihn in zwei Hälften, dadurch entstand auf einer Seite eine Lücke von der Größe einer Tür.
Der Graf von Chillingworth besaß viele Bücher. Francesca ignorierte ihren steifen Hals und suchte weiter, suchte nach einem umfangreichen Werk in rotem Leder. Der erste Raum hatte kein Fenster: das einzige Licht fiel schräg durch die langen Fenster im anderen Teil der Galerie. Sie musste blinzeln, um die Titel der wenigen großen roten Bücher erkennen zu können, die sie dort fand.
Aber die Bibel war nicht darunter.
Als sie den
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