Cyrion
hinab.
Roilant, Mevary, der Söldner und die Leibwächter standen abwartend um die Steinplatte herum, wie um einen Beratungstisch.
»Mein Fürst?« fragte der Söldner endlich.
Roilant schluckte.
»Öffnen.«
Als die Hebel ihre kratzende, schabende Arbeit aufnahmen, tauchte noch ein Zuschauer zwischen den Tamarisken am Badehaus auf. Jhanna, ein Schatten mit Augen.
Wieder waren es nur drei Personen, die sich an dem Grab zu schaffen machten, aber diesmal ausgewachsene, kräftige Männer. Es dauerte wenig mehr als eine Minute, bis die Grabplatte, die, seit sie in der vorangegangenen Nacht entfernt worden war, ohnehin nicht mehr so fest auflag, sich hob.
Roilants Puls flatterte. Er hatte sich an die fadenscheinige Hoffnung geklammert, daß er, wenn er sich sehr beeilte, vielleicht noch rechtzeitig kam, um Cyrion vor dem Ersticken zu bewahren, falls er - wie durch ein Wunder - dem Tod entgangen sein sollte.
Die Platte wurde beiseite gehebelt und geschoben. Der Inhalt von Gerris’ Grab war dem grellen, gnadenlosen Tageslicht preisgegeben.
Der Söldner und die Leibwächter warfen aus Neugier einen Blick hinein. Die anderen drei nahmen allen Mut zusammen und folgten diesem Beispiel.
Das erste Geräusch kam von Eliset. Ein kleiner, tonloser Seufzer. Dann äußerte sich Mevary. Weniger zurückhaltend. »Da, Puddinghirn. Und wo ist dein Beweis?«
Roilant schaute auf den verhüllten Körper nieder, der an einer Seite lag und durch Zustand und Geruch sofort als Gerris’ von Flor zu erkennen war. Dann wanderte sein Blick zu der breiten, fleckigen und von Rissen durchzogenen Steinplatte daneben, die einmal als Ruhestätte für Elisets Mutter vorgesehen war. Ansonsten war das Grab leer.
5. Kapitel
Die Gedanken und daraus resultierenden Taten eines verbrecherischen Hirns vorauszusehen, ist manchmal weniger schwierig, als den Überlegungen eines vernünftigen, logisch denkenden Menschen zu folgen.
Für ersteres hatte Cyrion zweifellos eine besondere Begabung, wie er auch ein feines Gespür für Magie besaß.
Er hatte vorausgesehen, daß Roilant, den er darstellte, am Abend seiner überstürzten Hochzeit mit Eliset vergiftet werden sollte. Damit stand fest, daß von dem Moment an, da er die Dachterrasse betrat, jeder Teller, Krug oder Becher eine Gefahr für ihn barg. Hauptsächlich aus diesem Grund hatte Cyrion dafür gesorgt, daß auf dem Marktplatz von Cassireia ein Überfall auf ihn verübt wurde. Obwohl dieses Attentat auch noch einige andere Zwecke erfüllt hatte. Erstens diente es als öffentliche Generalprobe für den noch bevorstehenden Mord, und sowohl Eliset als auch jede andere interessierte Person auf Flor sah sich dadurch mit der unangenehmen Tatsache konfrontiert, daß eine beträchtliche Anzahl Leute gehört hatte, was Roilant befürchtete. Zweitens und eigentlich unbeabsichtigt, kam dadurch ein bißchen zusätzliche Würze in das Süppchen, in dem bis jetzt nur die verschwörerischen Cousins gerührt hatten. Außerdem hatte sich Cyrion die Gelegenheit geboten, Elisets Reaktion auf den unerwarteten Zwischenfall beobachten zu können, was sich als durchaus aufschlußreich und interessant erwiesen hatte. Der dritte Grund für den ganzen Aufwand war ein bißchen eigenartig, aber lebenswichtig.
Der arme Cousin Roilant, der so rücksichtslos ins Gesicht geschlagen worden war, hatte an dem wenig vielversprechenden Abend seiner Hochzeit natürlich jede Veranlassung, aufs Essen und weitgehend auch aufs Trinken zu verzichten, da beides durch die unübersehbare Schwellung von Mund und Lippen zu einer schmerzhaften Angelegenheit wurde. Dagegen hätte es unter den gegebenen Umständen, wo jeder jedem mißtraute, nichts genutzt, wenn er behauptet hätte, gegen eine Tür gelaufen oder eine Treppe hinabgestürzt zu sein. Unter den Augen von ein paar Dutzend Zuschauern verprügelt zu werden, wirkte da weitaus überzeugender.
Die wirkliche Ursache für Cyrions geschwollenes Gesicht waren natürlich weder die Schläge, noch der abgebrochene Zahn, den er sich dadurch eingehandelt zu haben vorgab. Der Söldner war wie jeder geübte Kämpfer ein Meister des vorgetäuschten Zweikampfs, und Cyrion stand ihm darin in nichts nach. Das mit Dattelsaft beschmutzte Tuch hatte er also nicht vors Gesicht gehalten, weil er verletzt war, sondern um zu verbergen, daß er es nicht war.
Allein in seinem Zimmer in Flor hatte Cyrion die Wangenpolster, die für seine Rolle erforderlich waren, aus dem Mund genommen und durch etwas noch
Weitere Kostenlose Bücher