Cyrion
Dienern sehen. Sobald sie allein war, lief sie zu der Mauer des Badehauses und kletterte hinüber. Dann eilte sie zu dem Gang mit dem Brunnen, der damals noch überdacht war. Sie öffnete den Brunnen, wie Tabbit es ihr erklärt hatte, und ließ sich in den Schacht hinab. Kurze Zeit später kam Tabbit und schloß die Öffnung wieder. Dann kehrte sie zu Eliset zurück, die im Garten spielte und überzeugte das Mädchen, daß sie die ganze Zeit dort gewesen war.
So gelangte Valia in ihr neues Reich.
Sie hatte Pracht und Schönheit erwartet, etwas, das es mit dem Palast der Meeresgöttin aufnehmen konnte. Aber auch diesmal war sie betrogen. Es gab keine Herrlichkeit, nur Sklaverei. Sklaverei, die mehrere Jahre dauerte, und nur, wenn sie über die gefährlichen Felsbänder in der Höhle kletterte oder durch das eisige Wasser schwamm, konnte sie durch den schmalen Spalt in den Klippen die Sonne sehen, das offene Meer, den Himmel und einen Horizont, der nicht aus Felsen bestand.
Natürlich hatte sie sich gewehrt, aber das führte zu nichts. Sie hatte abscheuliche Dinge getan, aber auch das bewirkte weder Erleichterung noch Anerkennung. Und es gab keine Fluchtmöglichkeit. Sie war nicht stark genug, um das alte Schiff in die Freiheit zu rudern, und der Brunnenschacht blieb verschlossen.
Tabbit kam am Ende des ersten Monats, und Valia beschimpfte sie. Tabbit stand ungerührt vor dem dunklen Hintergrund des Uferstreifens. Und als Valia erschöpft verstummte, drehte sie sie herum, bis sie auf den unterirdischen See hinausblickte. Dann sprach Tabbit einige Worte und ein Wunder geschah. Eine grüne Muschel stieg aus dem schwarzen Wasser, besetzt mit funkelnden Lichtersternen. In der Muschel schwammen wunderschöne Frauen wie Meeres-Schmetterlinge, und der Duft von tausend Blumen erfüllte die Halle und Musik wie von einer Harfe aus Kristall.
Die Erscheinung verblaßte schnell. Es war nur ein Trugbild und kostete Tabbit viel Kraft. Ihre Anfänge waren nicht ganz so vergeistigt, wie sie vorgegeben hatte. Sie war als Dienerin auf Flor geboren worden, und als es mit dem Haushalt allmählich bergab ging, hatte sie sich den Hexen angeschlossen, wie es bei den Frauen ihrer irdischen Familie Tradition war. Mit zunehmendem Alter verringerten sich ihre magischen Fähigkeiten. Bald würde ihr nur noch die Gabe geblieben sein, anderen Menschen zu befehlen, und diese wandte sie jetzt auf Valia an, als das Kind sich ihr verstört und zitternd wieder zuwandte. »Du wirst größere Wunder bewirken als ich«, sagte Tabbit, »und größere Macht erreichen. Aber nur, wenn du bei uns bleibst, von uns lernst und dich der Göttin mit Leib und Seele ergibst.«
Und Valia, die nie etwas anderes gewesen war, als anderer Leute Furcht und Pflicht, begann zu ahnen, daß sie sich hier an dem für sie rechten Platz befand.
Also beugte sie sich der Sklaverei mit widerstrebendem Einverständnis.
Sie ertrug es dreizehn Jahre. Sie lernte die Kunst der Magie, und daß sie keine Meisterin war, wurde vor ihr geheimgehalten, bis sie sich mit der stets verläßlichen Blindheit des wahren Egoisten selbst für eine Meisterin hielt. In der Zwischenzeit ging sie auf Fischfang, arbeitete in den Kräuter- und Pilzgärten, die die Zutaten für die heilsamen und auch weniger heilsamen Trünke und Pulver lieferten, und backte Brot aus dem Mehl, das sie eigenhändig aus der Küche von Flor entwendete. Und wenn sie jetzt durch den Brunnenschacht hinaufstieg und die lebende Erde sah, empfand sie nur Verachtung und Ablehnung; denn sie hatte ihr nichts weiter gegeben als Demütigung, Zurückweisung und falsche Gefühle. Die Hexen hatten sie verführt und geraubt. Sie hatten sie wirklich gewollt. Sie blieb bei ihnen und wurde zu einem Geschöpf voller Weisheit und Licht in der Dunkelheit oder glaubte es wenigstens. Und als Tabbit schließlich ihrer Herrschaft erklärte, sie wolle nach Hause zurückkehren, um dort zu sterben, statt dessen aber wieder ihren Patz im Kreis der Hexen einnahm, wurde Valia ihre Tochter, ihr verbunden durch ein Blutopfer, so wie Valia in ihrem fünfzehnten Lebensjahr durch das Opfer eines Ohrläppchens ihren Bund mit der Göttin besiegelt hatte.
Und trotzdem war sie sich die ganze Zeit, während sie dort unten in der Dunkelheit leuchtete, bewußt, daß über ihr das Leben weiterging. Flor wurde für sie zu einer Welt auf der anderen Seite einer gewaltigen Tür.
Sie sah ihre Verwandtschaft auch, wenn sie oben herumschlich. Den ersten Mevary - ihren
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