Cyrion
tanzten wie Spinnen durch die Luft.
»Seid still«, befahl Oe-Tabbit. »Sie wird uns gnädig sein. Sie weiß, daß die Regem nicht immer genau eingehalten werden können, von uns, die wir in dieser Höhle gefangen sind und ihr nur so gut dienen können, wie es uns möglich ist, und nicht, wie wir es gerne möchten. Bedenkt auch, Schwestern, wie lange sie schon wartet, wie lange sie danach hungert, daß das Ritual zu Ende geführt wird. Sie wird verzeihen. Sie wird zufrieden sein, wenn es geschieht und sei es auch die falsche Zeit.«
Seufzend, zögernd, verstummten sie.
Mevary stand in dem Feuerschein, in seinen Augen brannte Hinterlist, Gier und Mißtrauen.
»Sie ist bereit, sagst du, mir ihr Gold zu geben?«
»Wir haben dir oft erklärt, daß die Göttin für Gold keine Verwendung hat. Komm, meine Tochter«, sagte Tabbit und blickte an ihm vorbei in den Schatten. »Die Muscheln in dem Feuer sagten mir, daß du heute nacht zurückkehren würdest. Wir sind hier, wir haben dich erwartet, wie du siehst. Komm in unsere Mitte, nimm dein Gewand. Werde eins mit uns, Valia, meine Tochter.«
Die schattenhafte Gestalt bewegte sich. Sie glitt an Mevary vorbei in den Kreis des Lichts und nahm dabei den Schal aus hellgelber Seide vom Kopf. Die Nadeln, die den Schal auf ihren hochgesteckten Haaren gehalten hatten, regneten unbeachtet zu Boden.
Einen Moment lang stand Valia zwischen ihrem Cousin und der Schwesternschaft. Etwas an ihrer Haltung verriet, daß sie zu keinem davon große Liebe empfand. Und doch drückte sich in jeder Linie ihres Körpers eine unentrinnbare Zusammengehörigkeit mit der alten Frau aus. In Männerkleidern, die für die Kletterpartien in dem Brunnenschacht am geeignetsten waren, ging viel von der sinnlichen Ausstrahlung ihres schlanken Körpers verloren, wenn auch nicht alles. In dem Feuerschein erwachte der Kupferglanz, der manchmal auf ihrem Haar lag, zu sprühendem Leben und bewies endgültig ihre Verbindung zu dem Haus Beucelair, zu der blonden Eliset, zu Mevary, mit seiner rotbraunen Haarpracht und zu dem ingwerhaarigen Roilant. Auch ihre grauen Augen stammten von Gerris, aber die olivfarbene Haut war ein Erbe ihrer Mutter, der Frau, die Gerris sich in Cassireia als Geliebte hielt und die vor Kummer starb, bald nachdem Valia verschwunden war.
Valia, die von Dämonen geraubte, nachträglich legitimisierte Tochter. Ihre Kindheit hatte sie in dem kleinen Haus verlebt, das Gerris ihrer Mutter geschenkt hatte und in das er manchmal zu Besuch kam. Bei solchen Gelegenheiten hatte er einen schrägen Blick für sie, ein billiges Spielzeug - und dann wurde sie hinausgeschickt. Hinausgeschickt, um zu spielen, während Vater und Mutter mit anderen Dingen beschäftigt waren. Das war alles, was Valia von ihrem Vater sah, und alles, was er für sie bedeutete: als lästig und unerwünscht fortgeschickt zu werden. Und später, als das Geld auf Flor knapp wurde und das Haus von Gerris’ Geliebter zu einem Stall verkam, wo Ratten statt der Singvögel zirpten, bedeutete ihr Vater auch das für sie. Kein Wunder, daß sie ihn haßte.
Eines Tages geschah etwas, das ihr Leben veränderte. Gerris’ Frau war gestorben, in einem fremden Land, von dem Valia nicht einmal den Namen kannte. Gerris wurde von Schuldgefühlen geplagt. Er beschloß, sich von seiner Geliebten zu trennen, jetzt, wo es kaum noch darauf ankam, da er sie ohnehin seit fast einem Jahr nicht mehr besucht hatte. An dem Morgen, als er mit dem neu gereiften Entschluß in Cassireia eintraf, spielt Valia im Hof und schaukelte kopfunter an dem toten Feigenbaum. Sie war unglaublich gelenkig und auch unglaublich schmutzig und zerlumpt und am ganzen Körper von den munteren Tierchen zerbissen, die jetzt in den Mauern des Hauses lebten. Bis auf den heutigen Tag erinnerte sie sich an den hin und her schaukelnden rotblonden Mann auf dem hin und her schaukelnden Pferd.
Wie es schien, hatten seine Schuldgefühle noch eine ganz besondere Wendung genommen. Dieses verlauste Balg war seine Tochter. Er mußte seine Sünden wiedergutmachen. Er mußte das Kind retten.
Er rettete sie. Er adoptierte sie. Er holte sie aus der Hütte, wo sie zwar nicht glücklich, aber zu Hause gewesen war, und brachte sie nach Flor, wo es zu der Zeit noch Diener gab, die sie beschimpften und verachteten, und einen Priester, der ihr von der Liebe Gottes erzählte und sie dafür schlug, daß sie sich an nichts dergleichen erinnern konnte. Und wo es eine Schwester gab, jünger, eine goldene
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