Cyrion
Onkel -, aufgeblasen, wollüstig, ein Trunkenbold. Den jüngeren Mevary, häßlich in all seiner Schönheit, die ein Teil von ihr wohl bemerkte und deshalb verachtete. Und Eliset. Valias Mutter, die ihr Kind vernachlässigt hatte, war inzwischen selbst an Vernachlässigung und Verzweiflung gestorben. Gerris war gestorben. Seinen Tod hielt Valia für ihren Verdienst, denn sie hatte ihn mit Flüchen belegt - wenn auch nicht um ihrer Mutter willen. Manchmal des Nachts, wenn sie sich in der Oberwelt aufhielt und nicht den Lebenden nachspionierte, ging sie zu seinem Grab und spuckte darauf und vergoß Tränen der Freude, weil sie ihm Leid zugefügt hatte. Einmal sah sie Roilant. Einen dicklichen Jungen, der gerade ein Bad nahm, als sie ohne die geratene Vorsicht aus dem Brunnen stieg. Sie paßte auf, daß er sie in ihren gestohlenen Knabenkleidern und mit dem von einem Schal bedeckten Haar nicht sehen konnte. An seinem roten Haar erkannte sie ihn als einen Cousin. Und haßte ihn.
Seit Gerris’ Tod hatte sich in ihr die Idee festgesetzt, daß sie gerne ihre ganze Familie in den Untergang treiben wollte. All jene, denen von Rechts wegen zustand, was man ihr nur gegeben hatte, um das schlechte Gewissen zu beruhigen.
Die Schwesternschaft liebte Blutvergießen. In der Jahrhunderte zurückliegenden Blütezeit der Sekte - wenn man es so nennen konnte - wurde der Göttin jedes Jahr ein Mann geopfert. Valia kam der Gedanke, daß man diesen Brauch Wiederaufleben lassen könnte. Nicht auf dem Wasser, das war unmöglich, aber vielleicht durch Wasser Tabbit war ihr gegenüber nachgiebig geworden, wie auch all die anderen Schwestern, jetzt, da sie wirklich zu ihnen gehörte. Sie war ihr Stern, ihr aufgehender Mond. Und auch Tabbit empfand keine Liebe für Flor und seine Bewohner. Sie hatte sie nur benutzt, und sie war verrückt. Die alte Führerin war gestorben, und Tabbit hatte ihre Stelle eingenommen. Sie umhüllte sich mit ihrem Fanatismus, versteinerte. Sie gab Valia ihr Einverständnis.
Valia wartete eine Zeitlang in dem Badehaus, bis Onkel Mevary zu später Stunde und schwer berauscht kam, um ein Bad zu nehmen. Er war ein lüsterner Mann, aber in betrunkenem Zustand - und er war sehr betrunken - ungelenk, kraftlos und nicht in der Lage, sich selbst zu helfen. Als er des Mädchens ansichtig wurde, winkte er sie grinsend heran. Und sie kam und drückte ihm plötzlich ein angenehm riechendes Stück Stoff auf die Nase. Die Droge war stark, er nicht. In wenigen Augenblicken war er bewußtlos, und Valia stand über ihm in dem Heißwasserbecken und hielt ihn fest, bis er ertrunken war.
Sie war gerade neunzehn.
Es vergingen einige Jahre, bis schließlich ein Plan in ihr heranreifte. Zu der Zeit war sie eine mächtige Zauberin geworden; die Hexen hatten es ihr gesagt und sie glaubte ihnen. Daß sie allesamt senil waren, wofür sie sie verachtete, wenn sie das auch nach außen hin nicht merken ließ, hatte ansonsten für sie keine Bedeutung. Sie übersah die Tatsache, daß die alten Frauen längst keine Verbindung mehr zum Leben hatten. Sie atmeten nur noch, alles andere war ihnen längst entrückt. Sie schmeichelten und verhätschelten Valia, ihren leuchtenden Stern, aus reiner Gewohnheit und weil sie sich dumpf von ihrer Jugend angezogen fühlten. Aber sie hatten keine wirkliche Beziehung mehr zu ihr oder zu irgend etwas anderem. Daß sie sie in ihre Reihen aufgenommen hatten, war ihr letzter Tribut an ihre Göttin gewesen. Daß sie sie weiterhin bei sich behielten - nun, sie hatten vergessen, daß sie nicht schon immer dagewesen war. Und Valia, die auf ihre Art ebenso blind war wie sie, bemerkte es nicht.
Sie war der Meinung, daß für sie die Zeit gekommen war, die Schwesternschaft zu verlassen und an die Erdoberfläche zurückzukehren. Sie sah sich selbst als Priesterin einer geheimnisvollen Sekte, deren Ruhm sich über die ganze Welt ausbreitete. Mit der Macht, die ihr zu Gebote stand - welche Höhen konnte sie damit erklimmen! Daß sie dabei an die Göttin denken mußte, störte sie nicht im mindesten. Die Göttin würde die von Ihr Auserwählte freundlich ansehen. Und wenn Valia beschloß, daß sie die Sekte erneuern und dadurch zu einer Kaiserin werden wollte, würde die Göttin auch das mit Wohlwollen betrachten. Denn Valia hatte die Göttin nach ihrem eigenen Abbild geschaffen, sie war nur ein Phantasiegebilde in ihrem privaten Götterhimmel. Wie auch die Magie. Was vielleicht erklärte, warum ihre Begabung so gering
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