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Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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heiraten. Radri hatte jeden Tag gehofft, seine Geliebte zu schwängern. Er glaubte unwahrscheinlich allzu vertrauensvoll daran, daß Jolan seine Schwester nicht enterben, sondern sie beide mit einer großzügigen Aussteuer bedenken würde. Jetzt, als Marival sich von ihm zurückzog, wurde Radris Enttäuschung keineswegs dadurch gemildert, daß er schon damit gerechnet hatte. Aber er drehte ihr den Hals nicht um, weil das doch ein allzu deutlicher Hinweis auf den Täter gewesen wäre. Radri ist eingebildet. Ihm kam der Gedanke, daß die zurückhaltende Sahara sich vielleicht vor Sehnsucht nach ihm verzehrte und er sie nur mit seinem Charme beglücken mußte, um sie für sich zu gewinnen. Das war allerdings wenig verlockend, solange er dabei nicht mehr zu erwarten hatte, als ihren dürftigen Anteil an dem Erbe. War Marival aber tot, so hatte Sabara auch Anspruch auf deren Erbteil. Natürlich mußte ihr Tod über jeden Verdacht erhaben sein - aber Blutvergiftung kommt ja nicht eben selten vor. Radri hatte schon alles geplant und trug wahrscheinlich auch das passende Mittel bereits seit einiger Zeit mit sich herum. Er verschaffte es sich auf eine Art, wie es jedem in diesem Hause möglich gewesen wäre, indem er unter dem Vorwand irgendwelcher Beschwerden den Priester aufsuchte. Zwischen den Kräutern herumzuwühlen, hätte vielleicht Verdacht erregt, aber was konnte einfacher sein, als, während Naldinus irgendeine Tinktur für das vorgeschützte Leiden zusammenmischte, wie geistesabwesend einen Fleck von seinem Seziertisch zu wischen. Viele kennen die Wirkung von Leichengift, besonders jene, die das Schlachtfeld als einfache Soldaten erlebt haben, wie es auf Radri zutrifft. Dieses recht widerliche Mittel tat er entweder in Marivals Wein oder Speisen beim Abendessen, oder, was wahrscheinlicher ist, er rieb es auf ihre Haut. Der kleinste Kratzer war eine ausreichend große Tür, um den sicheren Tod einzulassen.«
    Radri erhob sich langsam von seinem Ruhelager. Seine Augen quollen hervor, sein Gesicht war verzerrt.
    »Ihr behauptet also, ich wäre es gewesen?«
    »Ich behaupte«, erwiderte Cyrion, »daß Ihr Marival Gift verabreicht habt. Jetzt setzt Euch hin und laßt mich ausreden.«
    Mit fassungslos offenstehendem Mund fiel Radri auf die Couch zurück.
    Cyrion fuhr fort.
    »Sabara hatte den Streit bis in ihr Zimmer gehört und der Zorn auf ihre Schwester erreichte seinen Höhepunkt. Ihr verzweifeltes Bemühen galt hauptsächlich dem Ziel, ihren Bruder Jolan zu schützen, den sie, was weder Euch noch ihr jemals richtig zu Bewußtsein kam, sehr liebte. Zweifellos spielte auch der von ihr selbst eingestandene Neid auf Marival (ein irregeleiteter Neid, denn Sahara ist doppelt so einfallsreich und faszinierend wie ihre bemitleidenswerte Schwester, hätte sie es nur gemerkt) eine große Rolle, bei dem, was sie vorhatte. Sie betrat Marivals Zimmer und redete ihr gut zu. Sie tranken Wein zusammen. Mirival spottete über Sabaras Rat und ihre Bitte, den Frieden wiederherzustellen. Genaugenommen ist es zweifelhaft, daß Frieden zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch möglich war, und es mag sein, daß Sabara das wußte und ihr Gespräch mit Marival lediglich die Entschuldigung für das war, was dann geschah.
    Ich würde sagen«, meinte Cyrion behutsam, »einer der vielen Ringe Sabaras war mit Gift gefüllt, entweder aus Naldinus’ Vorräten oder durch ihr eigenes Wissen über Kräuter und Magie. Was immer sich in dem Ring befand, schüttete sie in Marivals Becher. Höchstwahrscheinlich ein langsam wirkendes Pulver, das Schlaf bewirkte und im Schlaf tötete. Ich glaube nicht, daß Sabara fähig gewesen wäre, etwas Unappetitliches oder Qualvolles anzuwenden. Für Sabara war es eine legale Hinrichtung. Sie war Henker, nicht Folterknecht.«
    Sabaras Standhaftigkeit zerbrach. Sie sank in einen Stuhl und
    legte eine Hand vor die Augen. »Ihr beschuldigt also mich.«
    »Ich stelle Tatsachen fest«, antwortete Cyrion. »Radri vergiftete Marival. Wie auch Ihr. Und ich bin noch nicht zu Ende.
    Jolan traf Marival irgendwann vor dem Essen. Er litt unter dem, was er über sie erfahren hatte, ihren sinnlichen Ausschweifungen, ihrer drängenden Forderung, einen reichen Mann von Adel zu heiraten. Jolan liebte Marival und wand sich unter seinen blutschänderischen Gelüsten, zumal sie nie befriedigt worden waren, im Gegensatz zu denen so vieler anderer Männer. Bei dem Gespräch weigerte sich Jolan, eine Heirat zwischen seiner älteren Schwester

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