Cyrion
blinkte das Schwert, biß tief in den Bauch des Ungeheuers, kam makellos silbern wieder zum Vorschein, ohne eine Spur zu hinterlassen. So nahe, nackt und riesig, wurde es offensichtlich, daß das Geschöpf keinen Nabel hatte und ihm auch noch einiges andere fehlte. Was sein Gesicht betraf, so schienen die Lippen sich nach innen zu wölben, ebenso die Nase, mit vortretenden Nüstern; die feurigen Augen waren glühende Löcher. Das nach innen gekehrte Zerrbild eines Menschen. Selbst die Krallen waren in die falsche Richtung gebogen, nach oben statt nach unten.
Wieder verließ Cyrion seinen Standort, aber diesmal zerrissen die Krallen seinen Ärmel, und sein Schwert, als es an einem unverwundbaren Handgelenk abglitt, traf einen dieser aufwärts gekrümmten Nägel mit einem Geräusch wie des Teufels Tanzmusik. Das Ungeheuer allerdings jaulte auf und sprang ruckartig zurück.
Wie in Nachahmung dieser Reaktion, wirbelte auch Cyrion herum und rannte. Als das Geschöpf, das sich wieder gefaßt hatte, ihm nachsetzte, fuhr Cyrion unvermittelt herum und sein emporzuckendes Schwert prallte gegen die beiden zupackenden, widernatürlichen Hände. Diesmal klang es wie geschliffener Stahl. Zehn schwarze Splitter flogen durch die rosafarbene Luft, gefolgt und angetrieben von zehn Fontänen aus schleimiger, weißer Flüssigkeit.
Kreischend vor Schmerz fiel der Unhold auf seine eigenartigen Knie, sein Kopf ruckte nach vorn. Jetzt befand sich sein Haarvorhang in Reichweite und im nächsten Augenblick schon in Cyrions beringter linker Hand, während die ungeschmückte Rechte das Schwert führte. Das Haar blutete ebenso heftig, wie die Nägel.
Zitternd und stöhnend sank das Geschöpf zwischen das Schilf. Sein weißer Lebenssaft tränkte den sandüberwehten Boden. Unter krampfhaften Zuckungen sank es in eine totenähnliche Starre.
Das Stöhnen verstummte, dafür ertönte ein lauter Ruf aus der Richtung des Turmes.
Es folgte das Knirschen von Riegeln und Türbalken, und ein Mann stolperte ins Freie. Er war klein, dicklich, dunkelhäutig und schwarzhaarig und trug ein mit Skarabäen und anderen magischen Zeichen besticktes Gewand.
»Fremder«, rief er, »Ihr habt etwas Unmögliches vollbracht.«
Cyrion reinigte sein Schwert mit Schilf.
»Ihr seid zu liebenswürdig«, erwiderte er bescheiden.
»Nein, nein«, versicherte der Mann aus dem Turm, »ich meine es ernst. Aber wie habt Ihr die schwache Stelle des Ungeheuers herausgefunden?«
»Es war«, antwortete Cyrion, »eindeutig die Umkehrung eines Menschen. Wo ein Mensch verletzlich ist, war es unverwundbar. Was man aber bei einem Menschen gefahrlos abschneiden kann, Fingernägel und Haare, war für dieses Geschöpf tödlich. Es stirbt, ist aber noch nicht tot.«
»Seid bedankt«, sagte der Mann. »Ihr habt mir einen großen Dienst erwiesen. Seit drei Jahren hält dieser Unhold mich in dem Turm gefangen. Ich bin kein Mann des Schwertes, sondern ein Philosoph. Ich habe um einen wie Euch zu Gott gebetet. Mein Name ist Juved. Bitte tretet ein in mein Refugium und seid mein Gast. Ich werde Euch die Schätze zeigen, die ich angehäuft habe. Nehmt davon, was Ihr wollt. Ich stehe in Eurer Schuld.«
Juved führte Cyrion über eine Steintreppe in eine geräumige Kammer.
Magische Gerätschaften waren überall verteilt, polierte Totenschädel, Sternenkarten, ein breites Ostfenster zur Beobachtung des Himmels, eine Kristallkugel auf einem Ständer aus Messing. Weitere Instrumente standen auf Truhen, Regalen und einem Tisch. Auf einem zweiten Tisch befanden sich kaltes Fleisch, Konfekt, Früchte, ein Krug mit Wein, silberne Trinkbecher und goldene Gewürzschalen. Linker Hand führte eine weitere Tür in ein im Halbdunkel liegendes Schlafzimmer.
Entweder die Aufregung oder das Treppensteigen hatten Juved erschöpft. Er ließ sich in einen geschnitzten Sessel fallen und deutete mit einer Handbewegung auf die Speisen und den Wein.
»Euer Abendessen beeindruckt mich«, sagte Cyrion. »Drei Jahre, sagt Ihr, wurdet Ihr hier gefangengehalten?«
»Guter Herr«, antwortete Juved, »ich will nicht prahlen, aber ich bin ein Magier. Solche Kleinigkeiten sind keine Schwierigkeiten für mich. Nur über das scheußliche Ding da draußen hatte ich keine Macht.«
Cyrion nahm sich von dem Brot und Fleisch und warf dabei einen müßigen Blick auf die Gewürze: Ingwer, Muskatnuß, Pfeffer, Salz und Zimt. Als er die Hand nach dem Weinkrug ausstreckte, sagte Juved: »Für mich auch, wenn es Euch nichts
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