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Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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schwere Tür schwang auf.
    Es folgte ein Wirbel dich überschlagender Ereignisse, die erst im Rückblick durchschaubar werden.
    Es schien, daß der Meister Provinzial versuchte, sich zur Seite zu werfen und gleichzeitig den Weisen in den hinter der Tür liegenden Raum zu schleudern. Das war der Versuch. Was wirklich geschah war, daß der Weise, der sich überraschend beweglich und stark erwies, den Meister Provinzial packte und mit Schwung in das Zimmer beförderte, während er selbst gleich hinterdreinsprang und mit dem Fuß die Tür hinter sich zustieß. Die nächste unerwartete Handlung des Weisen bestand darin, daß er sich wie eine Katze auf den am Boden liegenden Meister stürzte und ihn mit einem genau gezielten Hieb gegen das Kinn bewußtlos schlug.
    Dann erhob sich der Weise und stand dem Großmeister der Festung Klove gegenüber.
    Hulem wirkte, nicht ohne Grund, verstört, vielleicht sogar ängstlich. Das lange weiße Gewand mit dem goldenen Kragen, konnte das Kettenhemd darunter nicht verbergen und ein Schwert lag auf dem Tisch - ein deutlicher Hinweis auf seine Streithaftigkeit. Aber das strenge Gesicht und die kalten Augen verrieten Mut und Zorn.
    Der heilige Mann verbeugte sich anmutig. Mit einem freundlichen Lächeln fügte er dem hinzu: »Spart Euch die Mühe, nach Eurem Schwert zu greifen. Wäre ich der, den Ihr erwartet, würde es mich kaum aufhalten. Außerdem hätte ich mich schon auf Euch stürzen müssen oder nicht?«
    Hulem starrte immer noch auf dieses ältliche Wrack, das plötzlich mit der angenehmen Stimme eines jungen Mannes sprach.
    »Also seid Ihr nicht der, den Heruzala geschickt hat, mich zu töten?« fragte Hulem, unerschütterlich wie ein Fels.
    »Er hat es geglaubt«, sagte der altejunge heilige Mann mit einer Handbewegung in Richtung des bewußtlosen Meisters Provinzial, »und sobald er sich einigermaßen sicher war und es keine Zeugen mehr für seine Missetaten gab, konnte er es kaum erwarten, mich zu Euch zu führen. Eine Schlange an Eurem Busen, Herr?«
    »Irgend jemand, soviel ich weiß, verriet die Gnade, die ich dem Dieb gewährt hatte, nach Heruzala. Allerdings hätte ich den Stachel nicht so dicht bei mir vermutet. Aber wenn mein Meister Provinzial die Schlange ist, wer seid Ihr? Und wo, um bei der Sache zu bleiben, ist der Assassine?«
    Der Weise erzählte es ihm.
    Als der Weiße Ritter aus der Deckung der verbrannten Hütte der Wasserstelle hervorkam, ahnte Cyrion schon etwas von seinen Absichten. Das Abschlachten der Tauben, die zahm genug waren, dem Schwert entgegenzufliegen, statt die Flucht zu ergreifen, verriet den Wunsch, zu verhindern, daß bestimmte Nachrichten ihr Ziel erreichten. Der Mord an dem Taubenhalter und das Niederbrennen der Hütte verriet eine Gründlichkeit, die auch eine mündliche Übermittlung ausschließen wollte. Cyrion, der an die Quelle kam, um zu trinken, war nur ein weiterer Mund, der geschlossen werden mußte. Deshalb, als der Ritter die Marmorkugel warf, war Cyrion bereit gewesen, allem auszuweichen, was auf ihn zukam, denn es konnte nur den Tod bedeuten. In dem Bruchteil der Sekunde, den das Geschoß brauchte, um ihn zu treffen, hatte Cyrion große Mühe gehabt, wieder in die Feuerlinie zu kommen, da er vermutete, daß das Geschoß doch nicht dazu bestimmt war, ihn zu töten und er sich zu weit zur Seite geworfen hatte. Es gelang ihm, sich so zu wenden, daß die Marmorkugel durch sein Haar streifte und seine Schläfe ritzte. Durch seine Bekanntschaft mit den Nomaden hatte Cyrion schon vor langer Zeit gelernt, wie man seine Muskeln lockern und atmen mußte, um glaubhaft den Anschein der Bewußtlosigkeit zu erwecken. Dieses Wissen wandte er jetzt an, fiel in den Sand und harrte interessiert der Dinge, die da kommen sollten.
    Interessant waren sie allerdings.
    Der Ritter stieg vom Pferd und entkleidete Cyrion bis auf die Haut, wobei er auch den Schwertgurt und die Ringe nicht vergaß. Anschließend legte der Ritter sein Kettenhemd ab, Waffenrock, Helm und Schwert, kurz: alles und zog sich stattdessen Cyrions Kleider an, mit dem einen Unterschied, daß er das Schwert in der roten Hülle unter dem Nomadengewand verbarg.
    Diese Vorgänge beobachtete Cyrion, sooft seine Lage es erlaubte, unter den gesenkten Wimpern hervor. Er war nicht erstaunt, als der Ritter ihn mit seinem weißen Waffenrock zudeckte, um ihn vor der Sonne zu schützen, und auch nicht, als der Ritter die Marmorkugel vom Boden aufhob und sich damit die Stirn ritzte, bis das Blut

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