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Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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den Trümmern. Ihr Führer trug den Ring nur einen Tag lang. Er wurde von Soldaten des Prinzen dieses Landes gefangengenommen, aber auf dem Weg zu seiner Hinrichtung fiel er tot nieder. Der Ring kam in den Besitz eines der Soldaten, der ihn seiner schwangeren Frau schenkte. Sie starb während der Geburt - das Gesicht vor Entsetzen verzerrt natürlich, und das Kind kam tot zur Welt. Der Ring wurde mit ihr begraben und kam als Beute aus dem geplünderten Grab in den Besitz meiner Familie. Drei meiner Vorfahren fielen ihm angeblich zum Opfer, obwohl ich ihren Tod eher Unglücksfällen zuschreiben würde. Einer fand sein Ende durch einen Sturz von einer Mauer, als die Brüstung einstürzte. Einer starb während eines Unwetters auf See. Der dritte durch einen epileptischen Anfall bei einer Sonnenfinsternis. Seit dieser Zeit wurde der Ring nicht mehr getragen.«
    »Und habt Ihr ihn nie getragen?« erkundigte Cyrion sich unschuldig.
    »In meiner Armut habe ich nie daran gedacht. Aber ich fürchte mich nicht davor. Seht.« Volf nahm den Bernsteinring von dem Samtkissen und schob ihn an den kleinen Finger seiner linken Hand. Er lachte ohne das geringste Unbehagen. »Wenn etwas Böses dem Ring innewohnt, soll es mich jetzt niederwerfen. Aber ich glaube nicht daran. Der Tod ist jedem Menschen bestimmt. Das Ableben meiner Vorfahren kann man erklären, ohne Zuflucht zu einem Fluch zu nehmen. Selbst die Todesfälle, von denen in der Sage berichtet wird, sind erklärlich.«
    »Nichtsdestoweniger«, sagte Cyrion, »gehen Tod und der Ring Hand in Hand.«
    »Aber ohne irgendeine Regel - Männer, die nach drei Jahren starben, nach drei Monaten, einem Tag oder weniger! Und die Todesarten so verschieden. Ohne ersichtliche Ursache, durch Erdbeben, auf dem Meer - und einmal eine Frau im Kindbett. Nein, Zufall, Cyrion. Ist es keiner, dann werde ich auch sterben.
    Ich habe mir vorgenommen, diesen Ring nur für einen Tag zu tragen und nicht länger. Wenn es stimmt, daß jeder, der diese Gemme an seiner Hand trägt, durch sie den Tod findet, hat der Dämon keine andere Wahl, als mich während dieses Tages zu töten. Stimmt Ihr mir zu?«
    »Es ist«, sagte Cyrion, »denkbar.«
    »Heute um Mitternacht«, verkündete Volf mit leuchtenden Augen, »werde ich den Ring abnehmen. Und ihn meiner Frau zum Geschenk machen. Wollt Ihr uns heute Abend besuchen? Eßt mit uns und bleibt bis Mitternacht. Ich rechne nicht mit irgendeiner Gefahr, aber immerhin sagt man von Euch, daß Ihr Dämonen oder was man dafür hielt, besiegt habt. In Eurer Gegenwart wird Berdice doppelt sicher sein.«
    Cyrion ging zur Tür.
    »Also bis heute Abend. Vorausgesetzt, es macht Euch nichts aus, mit dem Dämon des Ringes allein zu sein.«
    »Ganz und gar nichts«, sagte Volf und lachte wieder. Cyrion ging.
    Volfs Haus, ein Teil der Mitgift, die Sarmurs Tochter in die Ehe gebracht hatte, war prächtig. Schmiedeeiserne Tore führten von der Straße in einen Hof mit Blumen und Springbrunnen. Dahinter erhoben sich zwei Stockwerke aus weiß und rosa getünchten Steinen, mit Säulen aus Palmholz und den dazu passenden Seidenvorhängen.
    Aber nirgendwo im Haus gab es so viel Seide wie in Berdices Gemächern. Vorhänge so fein wie Rauch und so schwer wie Sirup schimmerten an Wänden und Fenstern und wurden von ebenfalls seidenen blauen, grünen und purpurnen Schnüren gerafft. Bunte Vögel zwitscherten in kunstvoll geflochtenen Weidenkäfigen. Und in der Mitte des Zimmers zwitscherte Berdice.
    Unzweifelhaft war sie schön. Jettschwarzes Haar fiel offen bis zu ihrer schmalen Taille. Die makellose Haut schimmerte an Wangen und Lippen in einem zarten Rosa. Die Augen einer Gazelle, zierliche Hände und feste Brüste vervollständigten den Eindruck der Vollkommenheit. Sie war überreich mit Schönheit gesegnet - und seit ihrem dreizehnten Lebensjahr von der zierlichen Taille abwärts gelähmt.
    Trotz Berdices Charakter, ihrer Schönheit und ihres Reichtums war diese Behinderung ein Hemmnis gewesen, was Freier betraf. Dann war der hübsche Volf, arm, aber von guter Herkunft und brauchbarem westlichen Blut, von Liebe zu Berdice ergriffen worden und als er die Wahrheit erfuhr, hatte er nur an Sarmurs Schulter geweint und gesagt, daß sie ihm deshalb um so teurer sei und daß seine Liebe sie vielleicht heilen könnte. Und daß sie, auch wenn dieses Wunder nicht geschah, die einzige Frau wäre, die er lieben könnte.
    Glücklicherweise war Berdice einfältig. Es hatte ihr geholfen, ihren Kummer

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