Cyrion
zuvor. Er warf ein Messer, das ihr den Kopf vom Leibe trennte, bevor ich noch Atem holen konnte. Auch fand er die verborgene Wasserstelle, die nur unser Volk kennt. Wer kann es sein, Vater, der unsere Sitten kennt und doch weder zu unserem Volk, noch in dieses Land gehört?«
Wie es in letzter Zeit häufig vorkam, verengten sich Karuils adlergleiche Augen bei der Nennung des königlichen Titels,>Vater<, als überraschte es ihn, immer noch so angesprochen zu werden. Er blickte über die Schulter zu den schwarzen Zelten zwischen den hohen Palmen der Oase zurück, wo das Leben sich nur träge regte, ein Tribut an die gnadenlose Hitze.
»Ich glaube ich weiß, wer er ist«, sagte Karuil-Ysem. »Ich werde mit dir zurückreiten. Wir wollen sehen, ob ich immer noch weise bin oder nur mehr ein Narr.«
Der Kundschafter stieß seinem Pferd die Fersen in die Weichen, daß es sich herumwarf und in einer Wolke aus rötlichem Sand davonstürmte. Kandis Pferd folgte ebensoschnell. Sie waren verschwunden.
Einige der Nomaden, hochgewachsene Männer in ihren langen, schwarzen Gewändern, die Kapuzen zum Schutz vor der Sonne über den Kopf gezogen, saßen in dem spärlichen Schatten der Palmen und schauten Karuil und dem Kundschafter hinterher.
»Was hat das zu bedeuten?« fragte einer von ihnen.
Ysemid, Karuil-Ysems Sohn, vollführte die bei den Nomaden übliche Geste, die einem Augenzwinkern gleichzusetzen war.
»Jemand ist uns gefolgt, behaupten die Kundschafter. Vielleicht einer der Engelsritter, eine Taube, die ihr Nest am falschen Ort gebaut hat.«
»Wer die Löwen der Wüste verfolgt, sollte sein Fleisch in acht nehmen«, zitierte sein Nachbar.
Ysemid nickte. Er war hübsch, jung und stolz und trug einen Saphir in einem Ohrläppchen. Überall in der schattenbetupften Oase fanden sich weitere Hinweise auf seinen Reichtum. Eine seiner drei schönen Frauen brachte ihm einen Trunk in einem mundgeblasenen Glas auf einem ziselierten Silbertablett. Sie war schwarz gekleidet, wie alle anderen, aber an Gürtel, Handgelenken, Ohren und Stirn funkelten Juwelen und der Schleier, der Mund und Kinn bedeckte, war mit dünnen Goldplättchen bestickt.
»Mein Vater, der>Vater<«, sagte Ysemid, »wird uns seinen
Leichnam bringen, so er ein Feind ist. Wenn nicht, so werden wir sehen.«
Auf einem Hügel zwischen den Dünen hielten Karuil und der Kundschafter auf ihren Pferden.
Der Verfolger, der sich jetzt in Sichtweite befand, näherte sich stetig und unbeirrbar. Wahrscheinlich hatte er sie entdeckt, ließ sich aber nichts anmerken.
»Seht wie er die Füße setzt, Vater. Er kennt den Sand.«
»Allerdings.«
»Und das Haar.«
»Ich sehe.«
Noch eine Minute und der Gegenstand ihrer Beobachtungen hob den weißblonden Kopf. Ohne stehenzubleiben schaute er zu ihnen hin. Bald war er nahe genug, daß sie die Züge seines leicht gebräunten und atemberaubenden Gesichts erkennen konnten.
»Ein Edelstein Gottes«, bemerkte der Kundschafter mit verächtlicher Bewunderung. Es war der Ausdruck für große Schönheit und wurde gewöhnlich als Beleidigung gebraucht. Die Nomaden, ruhelose Wanderer, erbarmungslose Kämpfer, die nach einem starren, manchmal blutigen Kodex lebten, glaubten, die wahrhaft Schönen seien auch die wahrhaft Nutzlosen.
»Ein Edelstein«, stimmte der alte Mann zu, »aber in einer Fassung aus Stahl. Ja, er ist der eine, von dem ich annahm, er sei es.«
Karuil-Ysem schwang sich aus dem Sattel - er war erstaunlich gelenkig. Er wartete, während der Nicht-Fremde gelassen und mit ausdruckslosem Gesicht das letzte Stück des Hügels hinter sich brachte.
Als der junge Mann noch zwanzig Schritte entfernt war, sagte Karuil, noch immer in der Sprache der Nomaden: »Die Wüste blüht unter dem Schritt des ersehnten Gastes.«
Daraufhin blieb der Ankömmling stehen und erwiderte fehlerlos in derselben Sprache: »Und Wasser dringt aus dem Felsen bei der Wiederbegegnung mit einem Freund.«
Seine Stimme war so schön wie sein Gesicht, und der Kundschafter lauschte mit ärgerlicher Verwunderung. Diese steigerte sich noch, als Karuil ohne weiteres die Arme ausbreitete, der blonde Westländer die letzten Schritte zurücklegte und sich umarmen ließ.
»Willkommen, Cyrion«, sagte Karuil.
»Euer Willkomm ist willkommen«, antwortete der Edelstein Gottes, dessen Namen Cyrion war.
»Wie hast du uns gefunden?« fragte Karuil.
»Auf die übliche Weise. Indem ich den Zeichen folgte, die das Volk Karuils für die zurückläßt, die ihm in
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