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Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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ähnlich sah. Dieser Abscheu äußerte sich sogar in der Form ihrer Schwerter, die halbmondförmig gekrümmt waren.
    Karuil-Ysem saß unter der Lampe, zwischen den seidenen Kissen und sah durch den geöffneten Zelteingang, wie die Sonne unterging. Cyrion hatte er auf den Platz an seiner Seite gewinkt. Man hatte ihnen Wein, Dattel saft und Zuckerwerk gebracht. Diese Süßigkeiten und den Wein, erklärte Karuil, verdankte er der Großzügigkeit seines Sohnes. Ysemid verbrachte jetzt viel gewinnbringende Zeit in den Städten. Über die schimmernde Wasserfläche hinweg war Ysemids Zelt zu sehen. Als die Hitze des Nachmittags langsam erstarb, vergnügten sich dort schwarzgekleidete Männer mit wilden Pferderennen; Staub und Schreie stiegen in den fahlen Himmel.
    Nachdem er aus Höflichkeit von den Speisen aus Daskiriom und Heshbel gekostet hatte, saß Cyrion in scheinbar träger Behaglichkeit und stützte das Kinn auf die beringte linke Hand, während Karuil mit unerwartetem Appetit weiter aß und trank.
    Schließlich meinte Cyrion beiläufig: »Ich nehme an, hier kann uns niemand belauschen?«
    »Nein«, sagte Karuil und zerteilte eine Pastete.
    »Während Euer eifriger Kundschafter bereits die traurige Neuigkeit meiner Erkrankung verbreitet.«
    Karuil blinzelte. Die pergamentdünnen Lider senkten sich halb. Es war ein Zeichen für ungeteilte Aufmerksamkeit.
    »Der Kundschafter? Ich habe dir gesagt, daß er nichts verraten würde.«
    »Aus welchem Grund dann habt Ihr mich bewogen, vor ihm zu sprechen?«
    Karuil legte die Pastete nieder. Auf dem alten Gesicht breitete sich ein Ausdruck verschlagener Spannung aus. Ganz langsam wurden hinter den Lippen die langen Zähne sichtbar. »Was ich dir sagte und die Wahrheit müssen nicht ein und dasselbe sein.«
    »Ihr entzückt mich. Die Idee, noch mehr Gerüchte in Umlauf zu bringen, erschien mir langweilig, um nicht zu sagen geistlos.«
    »Also spielst auch du mit der Wahrheit. Deine Krankheit ist eine Lüge.«
    Cyrion betrachtete Karuil einige Augenblicke lang und ließ den Blick zu dem lauten Treiben auf der anderen Seite des Teiches wandern.
    »Die Krankheit«, sagte Cyrion ruhig, »war ein nützlicher Zufall. Ich wurde angewiesen, unter einem Vorwand hier aufzutauchen, oder etwa nicht?«
    »Dann ist es eine Tatsache - diese Blindheit -«
    »Sie tritt nur in größeren Zeitabständen auf. Die Dinge, die ich bei Eurem Volk gelernt habe, habe ich nicht vergessen und brauche ich nicht neu zu erlernen. Ihr könnt Euch vorstellet, daß ich sie im Falle einer Krankheit angewendet hätte. Ob sie nun helfen würden oder nicht.«
    »Dann«, sagte Karuil, »bist du nur gekommen -«, es folgte eine lange Pause, und schließlich: »weil ich dich gerufen habe.«
    »Was ziemlich albern von mir war, da Ihr mir nicht zu trauen scheint.«
    »Daß ich überhaupt nach dir gerufen habe, beweist, daß ich dir mehr als jedem traue. Wie hast du meine Nachricht erhalten?«
    »An einem der Orte, die ich gelegentlich aufsuche und an dem Ihr sie hinterlassen hattet. Wie sonst? Wenn ich sie richtig gedeutet habe, wolltet Ihr mich wissen lassen, daß Ihr Euch in Gefahr befindet.«
    Karuil, der die Pastete wieder zum Mund geführt hatte, legte sie auf das Tablett zurück. Seine Augen nahmen einen täuschend schläfrigen Ausdruck an.
    »Ah. Ich dachte nur, daß du es so auslegen würdest.«
    »Ich habe mich geirrt.«
    »Nein. Er ist mein Feind.« Jetzt kamen die Worte hastig, und seine Stimme hatte einen scharfen, bitteren Klang. »Er will nach Art der Städte leben. Er suhlt sich in ihrer Verderbtheit und dem Luxus. Er behängt seine Frauen mit Gold und sein Zelt mit Juwelen und schickt diese Süßigkeiten, um mir die Zähne zu ziehen.« Karuil schlug nach dem Tablett, und das Konfekt rollte über den Boden wie bunte Würfel. »Einen Tattergreis will er aus mir machen. Wie einen alten Löwen will er mich einlullen und dann die Falle zuschnappen lassen.«
    Cyrion wartete einen Moment, bevor er bemerkte: »In Eurem Volk ist Vatermord das schlimmste Verbrechen und wird mit der grausamsten Strafe geahndet. Wird Ysemid das riskieren?«
    »Ich weiß es nicht. Aber ich glaube schon. Oh, nicht gleich. Es gibt solche unter uns, die ihn lieben, die seine Pläne bewundern. Er würde unsere Zelte vor den Stadtmauern aufschlagen und uns zu Händlern und Gauklern herabwürdigen und sich mit seinen Frauen auf dem Bett wälzen, während die Knochen unserer Söhne dürr wie Stöcke und unsere Töchter zu Huren werden.«

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