Cyrion
Karuil brach ab. Er hatte die Stimme nicht erhoben. Nur die Worte verrieten seinen Zorn, er selbst saß so still wie ein Adler auf seinem hohen Felsen. »Nur ich«, sagte er, »stehe ihm im Weg. Ja. Er wird mich töten. Also habe ich nach dir geschickt. Nach dir, der einst in meinem Volk lebte und wie ein Sohn für mich war. Du erinnerst dich daran?«
Leise erwiderte Cyrion: »Ich erinnere mich. Ohne Karuil- Ysem wäre ich nicht der, der ich bin. Was wollt Ihr, das ich tue, Vater Eures Volkes?«
»Im Augenblick nichts. Bleibe hier und warte, wie ich.«
Der alte Mann trank Ysemids Wein, genoß ihn, als wäre er das Blut eines Feindes, das die Nomaden wie die Dämonen in früheren Tagen getrunken hatten.
»Dann«, nickte Cyrion, »werde ich warten.«
»Sie werden dir ein Zelt errichten. Du wirst wieder einer von uns sein. Aber diese Krankheit deiner Augen, sie bereitet mir Kummer.«
»Nein. Ich bin es, dem sie Kummer bereitet. Wenn Ihr mich braucht, stehe ich zu Eurer Verfügung.«
Ein Schatten fiel in das Zelt, Cyrion und Karuil-Ysem, richteten den Blick darauf. Unvermittelt kam der Mann, den der Schatten angekündigt hatte, um das Zelt herum. Es war unwahrscheinlich, daß er, selbst wenn er gelauscht hatte, viel verstanden hatte. Sie hatten leise gesprochen, und der Lärm von der anderen Seite der Oase, der eben erst nachließ, mußte ihre Worte übertönt haben.
Der Mann verneigte sich nach Art der Nomaden vor Karuil.
»Der Prinz Ysemid bittet Euch, Vater, auch ihm das Vergnügen zu gewähren, Euren Gast zu begrüßen.«
Cyrion erhob sich und betrachtete die Bronzelampe, die sich jetzt auf einer Höhe mit seinem Gesicht befand, während Karuil zu ihm sagte: »Ja, geh zu meinem Sohn, Cyrion. Der junge Löwen muß seinen Willen haben.«
Höflich erklärte Cyrion sich einverstanden.
Als er mit Ysemids Boten durch die Oase ging, versuchte der Mann ihn auf eine hochtrabende, manchmal verletzende Art auszufragen.
»Der Prinz fragt sich, wer Ihr sein könnt - Ihr tragt unsere Kleidung und seid doch von dem blassen westlichen Blut. Es wird behauptet, daß Ihr unter uns gelebt habt. Warum erinnern wir uns nicht an Euch?«
»Vielleicht sind wir uns zu der Zeit nicht begegnet oder ich muß zu meiner Schande annehmen, daß ich es nicht wert bin, daß man sich an mich erinnert.«
»Ha! Bei uns zu leben - hat Eure eigene Mutter Euch vor Abscheu in der Wüste ausgesetzt und ist davongelaufen?«
»Mütter sind notwendigerweise anhänglich. Sie können sich mit fast allem abfinden. So wenige von uns würden sonst überleben.«
Sie bewegten sich durch die Herde der schwarzen Zelte. Über kleinen Feuern briet Fleisch. Wo das Wasser sich in einem kleinen Tümpel sammelte, hockten Frauen bei ihren Krügen und klatschten. Als die beiden Männer herankamen, blickten sie auf und kicherten. Bei Cyrions Anblick wurden ihre Augen groß und schmelzend. Da sie immer bei den Zelten bleiben mußten, hatten sie noch nicht oft einen Westländer zu Gesicht bekommen. Er, mit seinem Haar wie der Himmel kurz vor Sonnenaufgang, seiner hellen Haut und Wimpern, die länger waren als ihre eigenen, war ein Wesen aus einer anderen Welt.
Am Rand der Oase waren die Pferderennen vorüber. Ysemid saß auf einem Teppich vor seinem Zelt und nippte aus einem gläsernen Becher. Um ihn hatten sich seine Günstlinge versammelt, standen oder saßen herum, scherzten und tranken. Die drei schönen Frauen glitzerten um die Wette. Wenn das Sonnenlicht auf ihre Gesichter fiel, konnte man sehen, daß ihre Schleier so dünn waren wie Rauch, ein Bruch der Tradition.
Als er Cyrion herankommen sah, stand Ysemid auf und hob die Arme zu einer Geste der Begrüßung und der Freude. Der Kundschafter war nirgends zu sehen, aber zweifellos war er hier gewesen, bevor er auf seinen Posten vor dem Lager zurückkehrte.
»Seht«, verkündete Ysemid, »die weiße Katze ist ein Freund, oder mein Vater, der Vater, hätte ihn getötet. Kommt, Freund von Karuils Volk.«
Cyrion trat vor und duldete die Umarmung. Ysemids Gefolgschaft drängte heran, täschelte ihn und strich über sein Haar. Ohrringe und Zähne blitzten, und die tiefstehende Sonne überschüttete das Bild mit einem Fächer aus schräg einfallendem Licht.
Ysemid drängte Cyrion einen Becher Wein auf. Cyrion kostete und stellte ihn beiseite. Einer von Ysemids Freunden drückte ihm den Becher wieder in die Hand.
»Ist er nicht nach Eurem Geschmack?« Ysemid war besorgt.
»Ein wenig steinig. Der Wein aus
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