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Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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Wirklichkeit. Vielleicht war das etwas, was er auch in betrunkenem Zustand unterbewußt vorzutäuschen verstand. So waren die Menschen; immer versuchten sie andere zu betrügen oder auch sich selbst.
    Erbittert rief der junge Edelmann sich zur Ordnung. Dieses sinnlose Philosophieren war ein Beweis dafür, daß für ihn das Leben im Moment tintenschwarz aussah.
    Unter Zurücklassung einer weiteren Goldmünze (schon bald würde Roilant ohnehin nichts mehr mit seinem Vermögen anfangen können, warum also mit einer Münze knausern?) ging der dickliche junge Mann zum Vorhang. Als er draußen den Wirt entdeckte, der einen murrenden Sklaven beim Polieren der Quirristatue beaufsichtigte, beglich Roilant seine Rechnung.
    »Sollte Cyrion morgen hier herkommen«, meinte Roilant, »richtet ihm aus, er möge sich zum Teufel scheren.«
    »Ich bezweifle, daß ich ihm das sagen werde oder daß er Euch den Gefallen tut«, erwiderte der Wirt und steckte mit einer Verbeugung das Geld ein.
    Roilant ging die drei Stufen hinauf - natürlich stolperte er wieder, aber mit weniger dramatischen Folgen als beim erstenmal - und trat aus der Tür.
    Die Straße lag dösend in der Nachmittagshitze. Über einigen Türen und Fenstern in den weißgelben Mauern spendeten Markisen wohltuenden Schatten, und nicht eine Franse oder Quaste bewegte sich. Aus einem Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite ertönte das schwermütige Spiel einer Leier, und in einem nahe gelegenen Garten schrie ein Pfau. In der Ferne drängte sich ein Gewirr von Häusern um den Fuß der Burg von Heruzala, wo Malbans blaugoldene Banner so leblos wie welke Blumen vor dem wolkenlosen Himmel hingen. Nirgendwo ein Lüftchen und alles, womit man noch rechnen konnte, war der heiße Wind der Wüste, der in einigen Stunden durch die Stadt fegen würde. Während in Cassiereia jetzt erfrischende Kühle vom Meer her über die bewaldeten Hügel zog.
    Roilant versank in Erinnerungen an die Landschaft, die er nur dreimal in seinem Leben gesehen und die doch in den letzten Wochen eine so verhängnisvolle Bedeutung für ihn angenommen hatte. Die geschwungene Linie der Obstbäume, durchsetzt mit den dunklen Wipfeln der Zypressen. Dann die zerfallene Außenmauer einer remusischen Festung, von der sonst nichts übriggeblieben war bis auf das wiederaufgebaute Badehaus im Innenhof. Hinter der Mauer dann der grüne Hügel und das Haus. Es war im Stil des Ostens erbaut. Wenn sich die Torflügel öffneten, betrat man den mit Malereien ausgeschmückten äußeren Hof, wo schlanke Säulen und zehn mächtige Palmen sich in einem schmalen Bächlein spiegelten. Dahinter wiederum, als Zeichen dafür, wie viele Völker - vergangene und junge - sich in diesem Lande vermischt hatten, erhob sich am Rande der Klippen der viereckige Turm, die aus Stein erbaute Verteidigungsanlage der Westländer. Und dahinter erstreckte sich das Meer.
    Aber die Klippen waren gefährlich - Valia hatte das erfahren müssen. Und der Turm zerfiel. Und Ziegel bröckelten wie Regentropfen von den Hausmauern, und das Wasser war sumpfig »Hat Euch der Wein geschmeckt?«
    Roilant zuckte zusammen, sein Herz setzte einen Schlag aus. Eine hochgewachsene, schlanke Gestalt war aus dem baumbestandenen Weg weiter vorne aufgetaucht und lehnte sich jetzt an einer Hausmauer auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
    »Wein?«
    »Der Wein in der schwarzen Flasche, den ich Euch bezahlt habe. Wollt Ihr etwa sagen, daß dieser Bengel doch mit dem Geld durchgebrannt ist? Es scheint, daß die Soldaten des Königs verlernt haben, wie man kleine Kinder erschreckt.«
    Roilant hatte sich erholt und erkannte jetzt seinen früheren Tischnachbarn, den blonden Soldaten Foy, der so überzeugend den Betrunkenen gespielt hatte.
    »Ihr habt mir den Wein bringen lassen? Ja, ich habe ihn bekommen. Vielen Dank«, sagte er vorsichtig.
    Foy lächelte.
    »Wir haben den übelriechenden Unruhestifter auf frischer Tat ertappt und ihn in sicheren Gewahrsam gebracht, obwohl er sich wand wie ein Aal. Ich war der Ansicht, daß ich Euch etwas schuldete. Schnauzbart war bei der ganzen Sache keine Hilfe, wie immer, und schläft jetzt seinen Rausch aus. Offiziell befragt er Zeugen.«
    »Und Ihr seid«, fragte Roilant, »ein Soldat?«
    »Ich? Was sonst?«
    »Damit«, seufzte Roilant, »ist meine letzte Hoffnung dahin. Ich hatte gehofft, Cyrion hätte den Wein geschickt.« Roilant ergab sich mit einem Kopfnicken dem unfreundlichen Geist, von dem er sich verfolgt fühlte. »Euer

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