Da gewöhnze dich dran
Mitgefühl ausdrückt und in denen ich diverse Fachmagazine für Prominenz durchblättere, auf einer Pobacke sitzend und kalt schwitzend. Mit der grazilen Verve einer anlandenden Robbe krabbele ich schließlich in meinem rot schimmernden, mit einem großen Tüllpropeller besetzten Ritzenputzer bäuchlings auf die Liege des fast 70 -jährigen Chirotherapeuten, während dieser, in seiner Professionalität über alle Leibwäsche erhaben, taktvoll schweigt. Liebevoll dreht, wendet und drückt er mich, es macht viermal laut knack, Domino Day in meinem Rücken, ich bekomme eine Schmerzspritze, dann gehe ich mit Krankschreibung nach Hause.
Alles, was mir am heutigen Tage hinunterfällt, ist unwiederbringlich verloren – und es fällt mir viel hinunter: Zahnbürste, Messer, Flaschendeckel und diverse Bröckchen Nahrung. Ich bin froh, dass Sommer ist, denn an Socken ist nicht zu denken, ich komme mit den Händen nicht einmal bis zu meinen Knien. Ausgestreckt auf dem Sofa, mit Wärmflasche im Rücken und einem Kissen unter den Waden, zappe ich mich durch Fernsehprogramm und Mediatheken. Ich schaue Sendungen, in denen sich Paare eine gemeinsame Wohnung suchen, in denen sie sich mit Wohnwänden, Sitzlandschaften und Bistrogardinen einrichten, in denen sie Kinderbettchen aussuchen, Hebammen mit Holzrohren an dicken Bäuchen horchen, in denen Mütter mit dezenten Wehen, ohne Blut und Schleim, Babys bekommen und sie später in mit Meditationsmusik unterlegten Szenen in ihren Armen wiegen. Es werden Häuser umgebaut, biedere, abgenutzte Schlafräume in ein «Paradies für gemeinsame Nächte» verwandelt, dunkle Badezimmer in «maritime Wohlfühloasen» umgekachelt, unpersönliche Wohnzimmer zu einem «fröhlichen Wohntempel» umgestaltet, und aus klapprigen Einbauküchen «entstehen dank ausgeklügelter Raumkonzepte Hausfrauenträume».
Ich rufe Iosif an und sage ihm, dass ich diese Woche nicht zum Training komme.
«Hast du eine Waschmaschine gehoben?», fragt er.
«Ich habe mich nur zu meinem Haarföhn gebeugt.»
«Zum Haarföhn gebeugt? Sonst nichts?»
«Nein.»
«Und dann so kaputt?»
«Ja.»
«Kann ich nicht nachverstehen. Wieso macht dein Rücken das?»
Ich muss lachen. «Keine Ahnung, Mann!»
«Was meinst du, bist du zum Saisonstart fit? Sind noch drei Wochen.»
«Bis dahin wird’s wohl weg sein.»
«Wenn du Physio brauchst, sagst du, ja? Ich kenne Leute.»
«Im Moment eher nicht», sage ich.
«Halt die Ohren steif, Mädel. Rücken ist ja schon. Wir brauchen dich.»
Ich schlafe für eine halbe Stunde ein, mache mir dann Nudeln, schaue in meine Mails. Eichhörnchen fragt, wie es mir geht, und wünscht mir gute Besserung. Melanie schickt mir einen Link zum Jungbauernkalender, einer Art Pirelli-Kalender mit nackten Landwirten – «auf dass es zur Genesung beitrage». Am Abend ruft erst Schnecke, dann mein Vater an.
«Sei froh, dass du heute nicht da warst», sagt Schnecke. «Der alte Iosif hat uns durch den Park geschleift – danach ging nix mehr. Auf den letzten fünf Kilometern musste ich mich ziemlich quälen.»
«Wie viele bist du denn gelaufen?»
«Fünf.»
«Schnecke, du Wurst.»
«Soll ich dir morgen helfen kommen – Schlüppi anziehen?»
«Danke, Schwester Schnecke, aber es geht schon.»
«Ich muss dich eh ständig nackt sehen.»
«Du hast ein hartes Leben.» Ich rolle ein bisschen auf dem Sofa herum, und sofort fährt mir ein stechender Schmerz in den Rücken. Leise stöhne ich.
«Biste sicher mit dem Schlüppi?»
«Ja, Mann.»
«Okay, dann hau rein. Kannst ja am Donnerstag mal in die Halle kommen und schlau am Rand stehen, uns ein bisschen zusammenscheißen, Pässe geben, du weißt schon. Sonst vermissen wir dich am Ende noch.»
Kaum habe ich aufgelegt, ruft mein Vater an
«Wie geht’s dir, Kind? Alles in Ordnung?»
Ich erzähle ihm von meinen blockierten Wirbeln und dem Besuch bei Doktor Knack.
«So ist das mit 30 », sagt Vatta, wenig mitfühlend. «Da kommen die ersten Gebrechen. Was glaubst du, wie das erst mal mit 60 ist. Ich denke schon darüber nach, mit Hennekens Fritz eine Rentnerkommune zu gründen.» Mit Fritz Henneken ist er schon zur Schule gegangen.
Zweimal pro Woche planen Fritz und er außerdem, auf den Friedhof zu gehen, Witwen trösten. «Wusstest du, dass es dort einen geheimen Code gibt?» Es sei eine Art Hanky-Code, der leicht erkennen lasse, welche Witwe getröstet werden wolle und welche nicht.
«Die Frauen», erklärt Vatta, «die die Kanne beim Wasserholen
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