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Da hilft nur noch beten

Titel: Da hilft nur noch beten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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abgerissen hatten: den Lehrter, den Potsdamer, den Görlitzer und schließlich auch das absolute Kleinod unter allen, den Anhalter. Seine Genossen, aus den Hinterzimmern billiger Kneipen nach oben gespült, in ihrer Ästhetik immer nur an Pferdeärschen orientiert, an Schnäpsen und Buletten, was hatten sie aus dieser Stadt gemacht, zumindest machen wollen: eine Reißbrett-City, verwechselbar mit hundert anderen Städten. Aber ihn, Hans-Jürgen Mannhardt, ihn hatten sie nicht mal wählen wollen zum Ortsvereinsvorsitzenden Abteilung Hermsdorf.
    Ein Fernbahnhof aber war erhalten geblieben, der alte Hamburger Bahnhof an der Invalidenstraße, 1847 eingeweiht und 1884 schon wieder geschlossen, dann bis zum Ende des Krieges und des Reiches sein absolutes Paradies: das Verkehrs- und Baumuseum. Nichts hatte den kleinen Hansi Mannhardt in größeres Entzücken versetzt als ein sonntäglicher Besuch mit Onkel und Vater bei den vielen «Loktiven».
    Nun hielt er mit dem Wagen seines Sohnes, fast fünfzig Jahre später, vor eben diesem Bahnhof, und wieder war er, nach vielen Jahren dornröschenhaften Schlafes, zum Museum geworden, zeigte jetzt die schön gemachte «Reise nach Berlin». Fifty years ago… Mannhardt erinnerte sich noch ganz genau, wie er sich damals immer über dieses blöde «Hansi» grün und blau geärgert hatte («Ich bin doch kein Kanarienvogel!»). Ebenso später in der Schule, als sie aus Hans-Jürgen «Ha-Jott» gemacht hatten – und ihn damit quasi zum «Pimpf» – und er doch nichts stärker haßte als «das braune Gesindel». Überhaupt, nicht nur sein Vorname schmeckte ihm wenig, auch mit dem «Mannhardt» hatten sie ihn ewig verspottet («Mann, muß der ‘n Harten haben!»).
    Was war die stilechteste Beschäftigung, wenn man auf einen Wuthenow zu warten hatte? Man las in Fontanes Schach von Wuthenow. Und Mannhardt tat es auch, während er zwanzig Meter vor der Mauer stand, immer die Richtung Osten/Hauptstadt der DDR rollenden Autos im Auge.
    «Als es mit der Mingdynastie zur Neige ging und die siegreichen Mandschuheere schon in die Palastgärten von Peking eingedrungen waren, erschienen immer noch Boten und Abgesandte, die dem Kaiser von Siegen und wieder Siegen meldeten, weil es gegen ‹den Ton› der guten Gesellschaft und des Hofes war, von Niederlagen zu sprechen. Oh, dieser gute Ton! Eine Stunde später war ein Reich zertrümmert und ein Thron gestürzt. Und warum? Weil alles Geschraubte zur Lüge führt und alle Lüge zum Tod.»
    Mannhardt überlegte, ob er dies dem Wuthenow von drüben und heute mit auf den Weg geben sollte, zur Lektüre für die ganze SED, oder lieber dem Bayerischen Fernsehen einschicken und dem ZDF?
    Er blätterte weiter, suchte nach Passagen, die den Schach von Wuthenow ganz direkt betrafen, fand auch einiges, das ihn stark in Unruhe versetzte:
    «Er flieht also, sag ich, löst sich feige von Pflicht und Wort… Er kann nun mal Zietens spöttischen Blick nicht ertragen, noch viel weniger einen neuen Ansturm von Karikaturen… Da haben Sie das Wesen der falschen Ehre. Sie macht uns abhängig von dem Schwankendsten und Willkürlichsten, was es gibt, von dem auf Triebsand aufgebauten Urteile der Gesellschaft…»
    Mannhardt wurde unruhig, waren doch die Parallelen zwischen dem Preußen von damals und der DDR von heute offenkundig; und so ließ ihn das Ende, das Schach von Wuthenow im Text beschieden war, trotz aller Sommerhitze kräftig frösteln.
    «‹Yes; pistol-shooting…› Aber der Satz kam nicht mehr zu Ende, denn der Wagen hielt vor Schachs Wohnung, und der Groom sprang in Angst und Eile vom Bock, um seinem Herrn beim Aussteigen behilflich zu sein. Er öffnete den Wagenschlag, ein dichter Qualm schlug ihm entgegen, und Schach saß aufrecht in der Ecke, nur ein wenig zurückgelehnt. Auf dem Teppich zu seinen Füßen lag das Pistol. Entsetzt warf der Kleine den Schlag wieder ins Schloß und jammerte: ‹Heavens, he is dead.›»
    Mannhardt warf das Taschenbuch auf den Beifahrersitz. Schach fürchtete das für ihn tödliche Urteil seiner Gesellschaft wegen der Heirat mit einer sehr häßlichen Frau; der Professor hatte es zu fürchten wegen einer Affäre mit der Tochter eines Nazihenkers, die noch dazu im Westen lebte. Insofern schien der Vergleich nicht einmal so abwegig zu sein.
    Eine Stunde verging, eine zweite, und als in der Mitte der dritten noch immer nichts von Wuthenow zu sehen war, schien Mannhardt ein «Freitod» ziemlich sicher.
    Was nun?
    Alles

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