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Da hilft nur noch beten

Titel: Da hilft nur noch beten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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wollte nicht auf diese elende Weise sein Leben beschließen: hier von zwei stinkenden Kretins abgestochen zu werden; für nichts und wieder nichts. Faschistisches kam hoch in ihm, er registrierte es trotz allem ganz genau: abknallen beide, mit der Todesstrafe wieder her.
    Er schaffte es auf die Heerstraße hinauf, bis an den Rand der großen Brücke, stürzte mit den Armen rudernd – «Hilfe!» – zum Straßenrand vor; alle dreißig Meter ein Auto. Mußte aber dabei weiterlaufen, stadtauswärts, Richtung Spandau, also auf die Brücke hinauf, um seinen Vorsprung so in etwa zu halten.
    Doch keiner der Fahrer dachte ans Bremsen, und sehr schmerzhaft wurde ihm bewußt, daß es in Berlin zu viele Irre, Ausgeflippte und Exoten gab, um als nackter Mann mit Badehose nachts um elf auch nur eine kleine Chance zu haben, die Aufmerksamkeit anderer zu wecken.
    Jetzt kamen auch die beiden Vermummten die Treppe herauf, und er fragte sich, ob sie bei der arroganten Trägheit dieser Autofahrberliner wirklich etwas hemmen würde, ihn hier auf offner Bühne umzubringen.
    Es war nicht damit zu rechnen, und so rannte er weiter, Sekunde für Sekunde hoffend, daß im Strom der Wagen endlich auch ein Polizeigefährt aufscheinen würde, sehnte sich mit aller Kraft die grün-weißen Bullenfarben herbei; er, der er nie verabsäumt hatte, den Polizeibeamten Böses nachzusagen, siehe Wackersdorf und Gorleben, Startbahn West und Kreuzberg im Mai.
    Doch, was Wunder, kein Streifenwagen erschien und rettete ihn, und schlimmer noch, statt des erhofften Polizeibeamten kam ihm auf seiner Brückenseite ein junger Mann entgegen, der offenbar von seinen beiden Verfolgern per Walki-talkie alarmiert worden war; jedenfalls tauschten die drei Handzeichen aus, die nichts anderes vermuten ließen.
    Saß er also in der Falle.
    Blieb ihm nur zweierlei: Entweder er lief ein paar Schritte auf den Fahrdamm hinauf und suchte die Aufmerksamkeit aller auf sich zu lenken, schaffte es, die Leute mit ein paar Auffahrunfällen zum Rausspringen zu bringen, oder er schwang sich übers Brückengeländer und versuchte, guter Turner, der er war, die stählernen Streben und Pfeiler hinunterzuklettern und seinen Killern schwimmend zu entkommen.
    Er hatte höchstens fünf Sekunden Zeit für seine Entscheidung.
    Sein Zustand gab den Ausschlag, seine Nacktheit, seine Badehose.
    So schutzlos, wie er war, hatte er eine Wahnsinnsangst davor, von einem Kotflügel erfaßt und zu Boden geschleudert zu werden, dann im Krankenhaus zu landen, mit der Schande des vollen Präsers dazu…
    Badehose, Wasser, Schwimmen; das alles ließ ihn fast automatisch den zweiten Weg wählen.
    Doch er verfluchte ihn sofort, denn als er sich nun über das Geländer beugte und zum Hinüberklettern ansetzte, lag das dunkel aufschimmernde See so unerwartet tief da unten, daß es ihn lähmte, ihn an eine Führung durch die Nürnberger Burg erinnerte: der Brunnenschacht, aus einem Eimer hineingeschüttetes Wasser, eine endlose Zeit, bis man es unten aufschlagen hörte.
    Was blieb ihm aber anderes übrig, er mußte es wagen, schwang sich auf das eiserne Brückengeländer hinauf, ritt einen Augenblick auf ihm, sagte sich, daß er es schaffte, einen Bergsteigerkurs in Oberstdorf erfolgreich abgeschlossen hatte, ein guter Schwimmer war und lange tauchen konnte, rief sich ins Gedächtnis, daß es immer wieder Männer gab, die sich von sechzig Meter hohen Felsen ins Meer hinunterstürzten, setzte seine Füße außen wieder auf, schloß beide Fäuste um die Gitterstäbe und ließ sich langsam in die Hocke hinunter.
    Tief unten zog ein Boot mit grünen, roten, weißen Lichtern vom Stößensee auf die offene Havel hinaus, und es war ihm, als säße er vorn in einem Flugzeug, die Stirn fest an die Scheibe gepreßt, und verfolgte gebannt, wie sie zur Landung in Tegel ansetzten, dicht über Spandau und die Havelinseln hinweg.
    Oben waren seine Verfolger zusammengetroffen.
    «Packt ihn!» schrie der eine. «Sonst gibt’s wieder kein Kurant!»
    Kurant, merkwürdig, nicht Geld, Knete, Kohle oder Mäuse…!
    «Tritt der Sau doch die Finger zu Brei!»
    Corzelius mußte sich beeilen, daß er die Strebe zu fassen bekam, die ihn zum Längsträger führte; meterweit hing ja der Bürgersteig über.
    Allein die Finger hatten nun über ewig lange Sekunden hinweg seine mehr als siebzig Kilo zu tragen, die Fingerspitzen, und waren doch nur aufs Maschineschreiben trainiert. Schmerzten qualvoll, und der Sog der Tiefe war der Wunsch nach

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