Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Da liegt ein Toter im Brunnen - ein Krimi mitten aus der Provinz

Da liegt ein Toter im Brunnen - ein Krimi mitten aus der Provinz

Titel: Da liegt ein Toter im Brunnen - ein Krimi mitten aus der Provinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
Vom Netzwerk:
wie gesagt – die Abrechnungen gemacht.«
    »Und Ihr Sohn Frank?«
    »Der auch.«
    Rubin schlug die Stirn in Falten. »Frank backt am Morgen die Kuchen und erledigt am Abend die Abrechnungen«, sagte er, und seine Worte klangen, als ob sie nicht an sein Gegenüber gerichtet gewesen wären.
    »Man kann sich nicht früh genug an die Verantwortung eines Unternehmers gewöhnen.«
    Rubin lauschte der Musik aus den Lautsprechern. Eine männliche Stimme, süß wie eine Schnitte Prinzregententorte, sang:
    »Du bist so gut zu mir, so gut zu mir, so gut zu mir …«
    Rubin fragte, ohne die Augen auf Schirner zu richten: »Mag Frank Schlagermusik?«
    »Woher soll ich das wissen? Außerdem haben wir nicht in erster Linie Radio gehört, sondern gearbeitet. Also, Herr Hauptkommissar, ich muss schon sagen …«
    »Herr Schirner, ich habe keine weiteren Fragen mehr«, sagte Rubin und erhob sich langsam von seinem Stuhl.
    Schirner erhob sich schneller. »Dann kann ich ja endlich wieder an meine Arbeit gehen. Die Geschäfte erledigen sich nämlich nicht von selbst – Herr Rubin!«
    Draußen, wieder auf dem Marktplatz, dachte Rubin: Wie seltsam, da hockt der Junge den ganzen Abend bei den Eltern über den Abrechnungen und lauscht seichter Schlagermusik. Als Rubin jung gewesen war und sein Vater im Fernsehen die Hitparade eingeschaltet hatte, hatte er heftig mit ihm gezankt und gestritten, bis das Programm gewechselt wurde oder er unter Protest auf sein Zimmer ging.
    Frank Schirner musste entweder ein besonders gutes oder besonders schlechtes Verhältnis zu seinen Eltern haben.

9
    Ein schmaler Streifen Sonnenlicht brach durch die graue Wolkendecke. Das freie Blau des Himmels wirkte beinahe wie ein Fremdkörper.
    Rubin ließ seinen Blick über die Fassaden der Häuser gleiten. Von den Fenstern in den zweiten Stockwerken, besser noch von den Dachgeschossen aus, konnte man den gesamten Platz gut überschauen.
    Er erkundigte sich telefonisch bei Schwarze, ob inzwischen Hinweise von der Bevölkerung eingegangen seien.
    »Tut mir leid, Chef, nichts zu vermelden.«
    »Gut, dann nehmen Sie sich Jana Cerni zur Unterstützung und fragen Sie im Hotel nach.«
    »Alles klar, Chef, danach könnten wir noch im ›Da Ricardo‹ nachfragen, in ›Pits Pinte‹ und einigen anderen Kneipen.«
    »Gute Idee, Schwarze, machen Sie das.«
    Kaum hatte er aufgelegt, da klingelte sein Handy. Rubin erwartete den Anruf der Gerichtsmedizin mit dem Ergebnis der Blutuntersuchung. Doch es war Bernstein.
    »Wo bist du?«, fragte er.
    »Auf dem Marktplatz.«
    »Wunderbar, ich bin ganz in der Nähe. Wie sieht es aus? Bist du in der Stimmung für eine Schulstunde mit einer alten Erzieherin?«
    »Meinst du, sie kann einen Hinweis liefern?«
    »Todsicher, wir werden allerhand von ihr erfahren.«
    »Also gut«, sagte Rubin und sah im selben Moment, wie Bernstein mit großen Schritten in seinem roten Anzug ohne Regenjacke und gelben Schirm auf ihn zusteuerte. Freitag eilte ihm entgegen.
    Die Wohnung von Irmgard Rathenow, der ehemaligen Lehrerin von Rubin und Bernstein, befand sich im selben Haus wie das Hotel am Marktplatz. Wenn man vor dem Haus stand, blickte man auf zwei Türen. Die eine war neu und modern und führte in die großzügige Hotellobby; die andere war schlicht und alt, brauchte dringend einen frischen Anstrich und führte in ein dunkles Treppenhaus, durch das man im Dachgeschoss zur Wohnung von Irmgard Rathenow gelangte.
    Bernstein drückte die Klinke der alten, schwergängigen Haustür, die niemals verschlossen war, und trat mit Rubin und Freitag in die dunkle Wärme des Treppenhauses, in das nur durch ein einziges schmales Fenster schwaches Tageslicht strömte.
    Muffige, abgestandene Luft, gemischt mit Lavendel-Raumspray, stieg in Rubins Nase. Das Ganze wirkte überraschenderweise nicht unangenehm auf ihn. Die dritte Treppenstufe von unten knarzte.
    Irmgard Rathenow, die pensionierte Lehrerin für Deutsch, Englisch und Geschichte, küsste ihren ehemaligen Schüler Bernstein zur Begrüßung auf die Wange und rief: »Christoph, wie lange ist es jetzt her? Du hast dich nicht verändert, mein Junge. Komm an mein Herz.«
    Sie küsste auch Rubin, der ein wenig verlegen war, nicht nur der besonderen Herzlichkeit wegen, sondern weil er von einem Moment auf den anderen wieder ein Schüler war. So, als ob ein Vierteljahrhundert einfach nicht stattgefunden hätte. Er stand vor seiner Lehrerin mit demselben Gefühl wie damals, als er wieder seine Hausaufgaben

Weitere Kostenlose Bücher