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Da liegt ein Toter im Brunnen - ein Krimi mitten aus der Provinz

Da liegt ein Toter im Brunnen - ein Krimi mitten aus der Provinz

Titel: Da liegt ein Toter im Brunnen - ein Krimi mitten aus der Provinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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einer neuen Nachricht ankündigte. Augenblicklich wandte sich Irmgard wieder dem Computer zu.
    »Könnte es vielleicht an deinem neuen Hobby liegen?«, fragte Bernstein.
    Irmgard starrte gespannt auf den Bildschirm und murmelte: »Der Laptop ist meine erste Anschaffung seit Jahren. Ich verletze mein Prinzip aber nur scheinbar, denn dieses schmale Utensil ersetzt ein Dutzend anderer Dinge. Ich gewinne also mehr Raum. Und es ist eine Wucht, ich chatte den ganzen Tag.«
    »Und mit wem?«
    »Mit der ganzen Welt! Ich chatte auf Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch. Seit Kurzem bin ich auch Mitglied bei einer Partnervermittlung. Ich flirte online. Wie auch im Moment. Das geht flugs hin und her. Sensationell! Die jungen Burschen sind ganz verrückt nach mir.«
    »Junge Burschen? Musst du auf der Internetseite kein Foto von dir einstellen?«
    »Doch, das schon, aber ich habe meine Kreativität spielen lassen. Ich habe das Bild der letzten großen Diva genommen: Greta Garbo in der Blüte ihrer Jahre! Sie lieben mich dafür.«
    »Sie lieben Greta Garbo!«, sagte Rubin.
    »Christoph, sei doch nicht so haarspalterisch. Es ist ja schrecklich mit dir, genauso wie früher.«
    Alle lachten.
    »So. Jetzt ist es aber höchste Zeit für unseren Wacholder!« Irmgard stand auf, ging zum Schrank und holte eine Flasche und drei Gläser, die sie großzügig füllte. »Prost, Christoph, schön, dass du wieder bei uns bist. Prost, Carl.«
    »Prost, Irmgard.«
    Alle kippten den Wacholder auf einen Zug hinunter. Der Schnaps brannte scharf auf Rubins Zunge und verursachte ein kurzzeitiges Brennen in der Kehle.
    Obwohl der Wacholder einen scheußlichen Geschmack in Rubins Mund hinterließ, zündete er ein kleines, flackerndes Licht in seinem Inneren an. Nach einem Seufzer des Behagens grinste Bernstein breit und leckte sich die Lippen.
    »Guter Stoff, oder?«, rief Irmgard. »Den hat mein Neffe selbst gebrannt.«
    Rubin sagte erst mal nichts. Irmgard wandte sich wieder ihrem Computer zu.
    »Den hat übrigens Serkan für mich eingerichtet. Ich könnte heulen, wenn ich daran denke.«
    »Wie wirkte Serkan auf dich?«, fragte Rubin mit belegter Stimme.
    »Oh, er war äußerst hilfsbereit und zuvorkommend. Für mein Empfinden hätte er gerne etwas wilder sein können, aber man kann nicht alles haben. Sozialverhalten: Note Eins. Allgemeinbildung: eine gute Zwei. Deutsch und Kunst: hervorragend. Wir haben viel über Kunst und Literatur gesprochen, über Chagall, Breughel und Stefan George. Stell dir vor: ein junger Mann, der auf Stefan George steht!«
    Wieder erklang der Glockenton aus ihrem Computer. Augenblicklich tippte Irmgard eine Antwort.
    »Entschuldigt bitte. Wo war ich stehen geblieben?«
    »Serkan mochte Kunst und Literatur.«
    »Richtig, aber auch mit der Technik war er vertraut. Mit einer Engelsgeduld hat er mir den Computer aufgebaut und die Verbindungen gesteckt.«
    Sie tippte in rasender Geschwindigkeit auf die Tastatur und sandte die Nachricht ab, während sie weiter mit Rubin sprach, der sich allmählich fragte, ob das Internet wirklich ein Gewinn für sie war.
    »Einmal war er sogar nach Feierabend bei mir und hat sich viel Zeit genommen, meine dummen Fragen zu beantworten. Ich habe für ihn gekocht. Es hat dem Jungen gut geschmeckt, bloß meinen Wacholder, den wollte er nicht.«
    »Aus religiösen Gründen?«
    »Das bezweifle ich. Er sagte, der Alkohol würde ihm nicht bekommen. Er war ein zerbrechlicher Mensch.«
    »Zerbrechlich?«
    »Er war körperlich nicht belastbar und hatte eine schlechte Konstitution. Immer wenn er bei mir hier oben anlangte, war er völlig außer Atem und brauchte Minuten, um wieder zu sich zu kommen. Einmal befürchtete ich schon, ich müsste den Arzt rufen.«
    »Was sagte er selbst dazu?«
    »Er sagte, das wäre bei ihm eben so. Das sei sein Leben, er hätte kein anderes zur Verfügung.«
    »Klingt irgendwie tiefschürfend«, bemerkte Bernstein.
    »Ich riet ihm, ein bisschen Sport zu treiben, aber er winkte ab.«
    »Wie winkte er ab? Verächtlich?«, wollte Bernstein wissen.
    »Lass mich überlegen. Nein, nicht verächtlich, eher traurig. So als ob er gerne Sport treiben würde, es aber aus irgendeinem Grund nicht könnte. Oder dürfte. Aber das findet man ja häufig: Sport mangelhaft, Deutsch sehr gut!«
    Rubin überlegte; er verglich das Bild, das Irmgard von Serkan zeichnete, mit dem, was er am Morgen in der Praxis von Peng Ching erfahren hatte. Er hatte in Serkan bislang einen jungen, zarten

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