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Da liegt ein Toter im Brunnen - ein Krimi mitten aus der Provinz

Da liegt ein Toter im Brunnen - ein Krimi mitten aus der Provinz

Titel: Da liegt ein Toter im Brunnen - ein Krimi mitten aus der Provinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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Die Kunst bestand darin, nicht nur wahrzunehmen, was da war, sondern auch zu erahnen, was fehlte.
    Die gesamte Wohnung – zwei Zimmer, Küche, Bad – machte auf Rubin den Eindruck eines unaufgeräumten Kinderzimmers. Im Flur war eine Wand nur zur Hälfte gestrichen; im Bad lagen gebrauchte Kleidungsstücke und Handtücher über den Boden verstreut; vor der Toilette befand sich ein grellbunter Bodentreter, der dringend eine Wäsche nötig hatte. Unter dem Badspiegel, auf einer gläsernen Ablage, standen Zahnpaste und Deo. Kein Rasierzeug und kein Aftershave. In einem Plastikbecher mit Mickey-Mouse-Figur befanden sich zwei Zahnbürsten.
    Serkans Schlafzimmer war winzig klein und wurde zur Hälfte von einem breiten Bett eingenommen, das ordentlich gemacht und mit einer roten Tagesdecke, aufwendig orientalisch gemustert, abgedeckt war. Davor standen mehrere halb volle Flaschen Wasser. Auf dem Nachttisch stapelten sich Bücher unter einer altmodischen Schirmlampe. Ein Buch lag mit dem Gesicht nach unten aufgeschlagen: »Die Abenteuer des Huckleberry Finn«.
    Zahlreiche Bilder und Kunstdrucke zierten die Wände von Schlafzimmer und Küche. Es waren Reproduktionen berühmter Gemälde und abstrakter Malereien auf Leinwand ohne Rahmen. Rubin erkannte van Gogh und französische Impressionisten. Er war kein Kunstexperte, viele Bilder sah er zum ersten Mal.
    Die abstrakten Bilder schienen von Serkan selbst zu stammen. Sie waren mit » S . A .« gezeichnet. Es waren keine Formen zu erkennen, es waren kühne Farbspiele, dick aufgetragen und wirr vermischt: braun neben rosa, gelb neben ocker, blau neben lila. Teilweise waren die Bilder mit Spiegelscherben versetzt. Das hatte einen überraschenden Effekt.
    Das Wohnzimmer hingegen zierten keine Bilder. In einer Ecke standen eine elektrische Gitarre und ein alter Verstärker, beide waren dieselben Modelle, die John Lennon bei den Beatles gespielt hatte. Rubin kannte sie genau, denn er hatte vor vielen Jahren das gleiche Equipment besessen. Er ließ den Fingernagel seines rechten Zeigefingers über die Saiten der Gitarre gleiten. Sie war nicht verstimmt, was darauf schließen ließ, dass Serkan erst kürzlich darauf gespielt hatte.
    Eine Wand des Wohnzimmers war vollständig mit einem überfüllten Bücherregal bedeckt. Rubin entdeckte mehrere unterschiedliche Ausgaben von »Tausendundeiner Nacht«, von denen Buchhändler Weimar gesprochen hatte. Er ließ seinen Finger über die Bücher laufen: Sie waren verstaubt und nicht mit Lesezeichen versehen. Die Bände daneben schienen noch vor Kurzem benutzt worden zu sein und waren gespickt mit Haftnotizen. Es handelte sich um die Biografien der Maler Chagall und Picasso sowie um ein theoretisches Werk zur Farbenlehre.
    Unter dem Fenster, das auf einen Hinterhof ging, befand sich ein Schreibtisch mit Büchern, dazu zahllose auf Türkisch beschriebene Notizblätter. Außerdem stand da ein Computer, ein älteres Modell, deutlich vergilbt. Rubin hätte bei einem jungen Mann, der Computer verkauft, etwas Moderneres erwartet.
    Und da war noch etwas: ein amtliches Schreiben. Rubin nahm es in die Hand und las. Es stammte von der Universität in der Großen Stadt und war die offizielle Zulassung zu einem Kunststudium im kommenden Sommersemester.
    Rubin wandte sich an Hassan. »Wussten Sie von Plänen Serkans, sich beruflich zu verändern?«
    »Nein, keine Ahnung. Wieso, steht etwas davon in dem Schreiben da?«
    Rubin überlegte.
    »Nein, ich frage nur so.«
    Er steckte das Schreiben in seine Jackentasche und forschte weiter auf dem Schreibtisch. Hassan schien sich nicht sicher, ob er wegen der Eigenmächtigkeit protestieren sollte. Schließlich sagte er nichts.
    Rubin stieß auf ein Mobiltelefon, das nicht eingeschaltet war, und fragte: »Ist das Serkans Handy?«
    Hassan nahm es in die Hand und schüttelte den Kopf. »Das war sein altes. Nur für den Notfall.«
    »Er benutzte für den täglichen Gebrauch also ein anderes?«
    »Ja, ich habe es ihm vor einem Jahr geschenkt. Hatte er es nicht bei sich, als Sie ihn fanden?«
    »Nein.«
    Rubin untersuchte weiter den Schreibtisch. Er entdeckte ein Werk zur Kunsttheorie mit einem grauen Umschlag; er sah einen Band mit Gedichten von Johann Wolfgang von Goethe. Den geblümten Band mit den schönsten Liebesgedichten, den Weimar Serkan verkauft hatte, entdeckte er jedoch nirgendwo.
    Während Rubin die Gegenstände auf dem Schreibtisch untersuchte, verschwand Hassan in der Küche, wo Rubin bald darauf die

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