Da muss man durch
Einkünfte hätten. Ich habe mich deshalb dazu entschlossen, ein paar Monate Urlaub zu machen, bevor ich mir überlege, womit
ich in Zukunft mein Geld verdienen will.
Während der vergangenen Wochen bin ich kreuz und quer über die Insel gefahren, um meine neue Heimat kennenzulernen. Ich habe
mir die Siedlungen der talayotischen Ureinwohner bei Llucmajor angesehen, ebenso die Siedlungen des britischen Prekariats
bei Magaluf. Ich habe genüsslich ganze Tage in Cafés entlang der Küste verplempert, die Bucht von Port d’Antratx durchwandert
und das |203| Cap de Formentor erklommen. Letzteres hätte Fred beinahe das Leben gekostet, weil er unbedingt einen Blick von der Steilküste
werfen wollte und dabei fast abgerutscht wäre.
Selbst die Partymeile von Palma habe ich besichtigt und war amüsiert darüber, wie sie in ungeschminktem Zustand aussieht.
Die Vergnügungspaläste, die hier im Sommer ihre Tore öffnen, sind in den Wintermonaten nicht mehr als ein paar Bretterbuden,
die mit Pappmaché und etwas Farbe für die kommende Saison zusammengeflickt werden. Man hat ein bisschen das Gefühl, ein Revuegirl
mit Lockenwicklern zu ertappen.
Am Ende meiner Besichtigungstouren stelle ich fest, dass Mallorca ebenso hübsch wie hässlich ist. An manchen Stellen wirkt
die Insel wie eine scheue Südseeschönheit, an anderen wie eine schlechtgelaunte Puffmutter. Aber ich mag das. Wassersportler
und Wanderfreunde kommen hier ebenso zu ihrem Recht wie Leute, die es vorziehen, im Urlaub Kartrennen zu fahren oder mit
vollgepinkelter Hose in der Gosse zu liegen. Mallorca ist basisdemokratische Erlebnisgastronomie. In diesem Stadtstaat ist
jeder willkommen, der seine Drinks bezahlen kann, egal, ob er sie aus Muranogläsern oder aus Plastikeimern schlürft.
Kurzum, mir gefällt meine neue Heimat.
«Na, das ist doch schön», unterbricht Günther, den ich gerade an meinen Meditationen teilhaben lasse. «Und was hast du
heute sonst noch so gemacht, außer über Mallorca zu philosophieren?»
«Mit Schamski telefoniert», erwidere ich. «Er hat sich mit Melissa gestritten. Der Verlag läuft schlecht, und sie hat Schamski
deshalb Vorwürfe gemacht. Schöne Grüße übrigens.»
«Danke», sagt Günther knapp, dann sieht er mich selbstgefällig |204| an. «Du hast dich also wie üblich mit Fred auf der Insel herumgetrieben und außerdem ein Telefonat geführt. War das schon
dein Tagespensum?»
«Ich hab eben auch noch eine Flasche Wein entkorkt, damit sie schon mal atmen kann», erwidere ich entspannt. «Aber irgendwie
werde ich das Gefühl nicht los, dass du mir etwas mitteilen möchtest, Günther.»
«Allerdings. Während du sorglos in den Tag hineinlebst, arbeite ich nämlich hart an unserer Zukunft», plustert Günther sich
auf.
Ich finde, er hat genug damit zu tun, hart an seiner eigenen Zukunft zu arbeiten, da muss er sich nicht auch noch um meine
kümmern. Aber ich will ihn nicht vergrätzen. «Interessant», heuchle ich also. «Lass hören.»
Günther nickt ernst. «Ich habe einen deutschen Geschäftsmann kennengelernt, der auf der Insel lebt und uns helfen könnte,
einen Marktstand zu bekommen. Vielleicht hat er sogar einen Job für dich. Mal sehen.»
Es klingt, als wäre ich schwer vermittelbar und würde nun von Günther die ultimative Chance bekommen, mich als Obstkistenschlepper
zu bewähren. Günther müsste jetzt nur noch ergänzen: «Verbock es nicht wieder.»
«Wie hört sich das für dich an?», fragt er stattdessen.
Ich überlege. Ich bin zwar nicht auf der Suche nach einem Job, aber ich hab auf der Insel fast alles gesehen. Bevor mir langweilig
wird, könnte ich mich also auch nützlich machen. «Gut, was soll ich tun?»
«Er kommt gleich vorbei. Ich hab ihn zum Essen eingeladen. Dann reden wir über alles.»
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|205| Das ist Quatsch
«Henning», stelle ich mit Erstaunen fest.
«Paul?» Henning reicht mir die Hand. Er wirkt nicht minder überrascht.
«Ihr kennt euch?», fragt Günther. «Wie das?»
Henning lächelt etwas verlegen. «Wir haben mal im Flieger nach Mallorca Händchen gehalten.»
Günther nickt, als wäre seine Frage damit erschöpfend beantwortet.
«Henning hat ein bisschen Flugangst», erkläre ich.
«Da kenne ich ein gutes Gegenmittel», wirft Bronko ein.
Ich sehe, dass Henning spontan blass um die Nase wird.
«Lasst uns heute Abend nicht über Flugangst reden», sage ich. «Es gibt doch angenehmere Themen, oder?» Vor allem
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