Da muss man durch
mit «schrecklich traurig» den Zustand seiner Ehe meint. Vielleicht hat ihn mein Angebot daran erinnert,
dass er schon seit Wochen auf dem Sofa schläft, weil seine Frau ihn nicht mehr ins Ehebett lässt. Wir können uns also auf
ein mehrstündiges Gespräch über Paarkrisen und Beziehungshöllen einstellen. Ich bin zwar müde, will aber nicht unhöflich
sein. Also erhebe ich mich, um noch Wein zu holen.
Henning hat die Sofaphase bereits hinter sich. Seine Frau Clarissa ist mit den beiden Kindern Nico und Nina vor ein paar Wochen
ausgezogen. Die drei wohnen in einem Hotel, das ein guter Freund von Clarissa managt. Ob Rocco wirklich nur ein Freund ist
oder vielleicht doch Clarissas Geliebter, möchte Henning lieber nicht wissen.
Ich schweige zu diesem Thema, bin aber sicher, dass die beiden was miteinander haben. Clarissa will die Scheidung |209| und glaubt partout nicht an die Rettung ihrer Ehe. Für mich sieht das danach aus, dass sie bereits das Rettungsboot klargemacht
hat. Und das heißt Rocco.
Mit wachsendem Unbehagen stelle ich fest, dass Günther besonders aufmerksam zuhört, wenn Hennings Geschichte Parallelen
zu Günthers und Iggys aktueller Krise aufweist. Auch in Hennings Ehe war Clarissa die treibende Kraft, als es um die Familienplanung
und den Traum von einem Haus im Grünen ging. Die Übersiedlung nach Mallorca hat Clarissa im Alleingang entschieden, und auch
die Kinderfrage hat sie beantwortet, ohne Henning um seine Meinung zu bitten. Sie setzte einfach die Pille ab und stellte
ihn dann vor vollendete Tatsachen.
Bis vor zwei Jahren ist Henning mit seinem bescheidenen Leben als Imker glücklich gewesen. Er hatte zwar Schulden, kam aber
irgendwie immer über die Runden. Das änderte sich, als die Wünsche seiner Familie zusehends kostspieliger wurden. Statt dem
Luxusleben einen Riegel vorzuschieben, hat Henning weitere Kredite aufgenommen. Jetzt steht er deshalb vor dem finanziellen
Ruin.
Als Henning sich müde und angetrunken aufs Sofa geschleppt und dort in den Schlaf geweint hat, wirkt Günther irgendwie verändert.
Eine Weile sitzt er nur da und starrt schweigend vor sich hin. Dann erhebt er sich, geht auf sein Zimmer und kommt mit ein
paar Seiten Papier zurück, die er auf den Tisch wirft. «Ein Brief von Iggy. Ich hab ihn heute bekommen. Sie schreibt, dass
sie mich liebt und immer noch an eine gemeinsame Zukunft glaubt. Sie will mir aber auch nicht im Weg stehen. Deshalb ist sie
bereit, in die Scheidung einzuwilligen.»
Ich überfliege den mehrseitigen Brief, lege ihn dann zur Seite. «Willst du denn die Scheidung?»
|210| Günther zuckt traurig mit den Schultern. «Wenn ich Henning so höre, dann hätte ich vielleicht gar nicht erst heiraten sollen.»
«Das ist Quatsch», sage ich. «Und das weißt du auch. Eine Ehe ist mit Risiken verbunden, klar. Aber das ganze Leben ist
ein Risiko. Willst du dich deshalb unterm Bett verkriechen?»
Günther zuckt wieder mit den Schultern und bleibt die Antwort schuldig. «Gute Nacht», sagt er leise und wendet sich ab.
Ich ahne, dass er kurz davor ist, eine Dummheit zu begehen. «Günther?»
Er hält inne, dreht sich wieder zu mir um.
«Versprich mir, dass wir beide nochmal in Ruhe über alles reden, bevor du Iggy antwortest.»
Er sieht mich müde an.
«Ich möchte nicht, dass du eine Entscheidung triffst, die du später bereust», fahre ich fort und sehe ihn eindringlich
an.
Günther überlegt, dann nickt er. «Okay.»
Eben war ich hundemüde, jetzt bin ich hellwach. Ich betrete die Terrasse, um eine Zigarette zu rauchen und ein letztes Glas
Wein zu trinken. Es ist frisch, aber nicht kalt. Man kann den Frühling schon schmecken. Ich genieße das Rauschen des Meeres
und den Anblick des mit Sternen übersäten Nachthimmels. Dann spüre ich, dass mein Handy vibriert. Es ist Iggy. Ich erwäge,
den Anruf nicht anzunehmen, tue es aber doch.
«Hallo, Iggy.»
«Hallo, Paul. Kannst du reden?»
«Ja.»
«Gut.» Sie macht eine kurze Pause, scheint sich zu |211| sammeln. «Ich hab den Brief abgeschickt. Er müsste heute angekommen sein. Aber Günther hat sich noch nicht gemeldet.»
«Das wird er sicher noch tun», antworte ich möglichst entspannt. «Vielleicht braucht er ein paar Tage zum Nachdenken.»
Ein kurzes Schweigen.
«Du hast gesagt, wenn ich ihm die Scheidung anbiete, dann löst sich seine Panik in Luft auf. Von ein paar Tagen war nicht
die Rede.»
Da habe ich auch noch nicht geahnt, dass mir
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