Da muss man durch
sieht mich an, und ihre Augen funkeln böse. Ich glaube, sie nimmt es mir nicht übel, dass ich meinen Hut nehme. Was
sie aber auf die Palme bringt, ist die Selbstverständlichkeit, mit der ich ihre Befehle missachte. Als absolutistische Herrscherin
ist sie nicht gewohnt, dass Untertanen ihr den Gehorsam verweigern.
Ich nehme Elisabeths Empörung gelassen zur Kenntnis. Ihr Fürstentum wackelt. Das macht sie natürlich nervös. Vielleicht ahnt
die alte Dame aber auch bereits, dass die Zukunft ihr noch einige Lektionen in Demut bescheren wird. Und vielleicht hält
sie deshalb so verbissen an ihrer Rolle als böse Königin fest. Soll sie ruhig, wenn ihr das hilft. Ich hab jedenfalls mein
Steak und meine Freiheit.
«Ich dachte, ich hätte mich in Ihnen getäuscht», beginnt sie und lehnt sich zurück. «Aber offenbar gehören Sie doch zu jener
Sorte Männer, die beim leisesten Windhauch die Beine in die Hand nehmen.»
Nicht schlecht, aber das kann sie besser, finde ich und schiebe mir ein Stück Steak in den Mund.
«Wahrscheinlich werden Sie Ihre jämmerliche Fahnenflucht vor sich selbst als vernünftige Entscheidung rechtfertigen. Dabei
wissen wir beide, dass Sie schlicht von Angst getrieben werden. Sie haben nämlich nicht das Format eines Mannes, der eine
Niederlage mit Würde erträgt.»
Na also, so langsam hat sie sich warmgegiftet. Ich nehme mir zwischendurch noch etwas Gemüse.
«Verraten Sie mir noch eins, lieber Herr Dr. Schuberth.» Ihr Gesicht verzieht sich zu einem hämischen Grinsen. «Jetzt, da Sie sich und uns bewiesen haben, dass Sie keine
Führungspersönlichkeit sind, was werden Sie da tun?»
|201| Ich lächle. «Ich werde mir jetzt ein Dessert bestellen, gnädige Frau.»
Ich sehe, dass sie um Fassung ringt. Sie erhebt sich und verlässt den Raum, ohne ein weiteres Wort zu verlieren.
Zu Hause treffe ich Bronko. «Du schon hier?», fragt er, während ich an ihm vorbeirausche, um meinen Hund für einen Spaziergang
abzuholen.
Bronko folgt mir in die Küche. «Was ist los?», will er wissen, während ich Fred anleine. «Irgendwas passiert?»
Unsere Blicke treffen sich, und nun ahnt er, was geschehen ist.
«Wow», sagt Bronko fast atemlos. «Heißt das etwa …?»
Ich nicke. «Ja, ich bin dabei.»
Laut Internet muss man sich mindestens ein Jahr Zeit nehmen, um den Wechsel in ein fremdes Land vorzubereiten. Das beweisen
zahlreiche Beispiele von Leuten, die spontan ausgewandert sind und dadurch ihr gesamtes Hab und Gut verloren haben. Manchen
sind obendrein Familienangehörige oder wichtige Organe abhandengekommen.
Gemäß einer im Netz kursierenden Checkliste waren meine Chancen, ein erfolgreicher Auswanderer zu werden, gleich null. Mit
knapp zwei Wochen Vorbereitungszeit, nicht vorhandenen Sprachkenntnissen und ohne eine berufliche Perspektive hätte ich es
eigentlich nicht mal durch die Passkontrolle schaffen dürfen. Mallorca hat uns trotzdem mit offenen Armen empfangen. Binnen
weniger Tage haben wir ein hübsches und bezahlbares Haus am Meer gefunden, einen alten Pkw gekauft und den behördlichen Papierkram
erledigt. Fast zwei Monate ist das jetzt her, und inzwischen sieht es so aus, dass wir sowohl unser Hab und Gut als auch
die wichtigen Organe behalten dürfen.
|202| Günther verbringt viel Zeit damit, berufliche Kontakte zu knüpfen. Bislang hat er den Internetauftritt für eine Flamencogruppe
programmiert. Der Job ist zwar nicht bezahlt worden, aber die Künstler haben sich mit einer Privatvorstellung revanchiert.
Der Abend war sehr nett, hat unsere kompletten Weinvorräte gekostet, und um ein Haar wäre ich in eine Affäre mit einer andalusischen
Tänzerin geschlittert.
Bronko malt voller Hingabe Landschaftsbilder. Er ist fast täglich unterwegs auf der Suche nach neuen Motiven. Das Geld für
Farben und Leinwände habe ich ihm vorgestreckt. Er will es mir nach der Urlaubssaison zurückgeben. Ich glaube, diesmal könnte
sein Geschäftsmodell funktionieren. Er selbst nennt es «Mallorca in Öl für unter hundert Euro». Inzwischen gibt es ein paar
Dutzend Bilder. Wenn es Bronko gelingt, auch nur die Hälfte davon zu verkaufen, dürfte er einen hübschen Gewinn erzielen.
Aber das ist nebensächlich. Um die finanzielle Situation müssen wir uns keine Sorgen machen. Meine Rücklagen und der Erlös
aus dem Verkauf meiner Möbel würden auch dann ohne Probleme für ein Jahr auf der Insel reichen, wenn wir überhaupt keine
Weitere Kostenlose Bücher