… da war'n es nur noch drei - Disconnected ; 1
kennt?“
„Seine Cousins aus Jütland sind es jedenfalls nicht!“
„Vielleicht will er einen Artikel über sie schreiben?“
„Ja, das lieben Dealer ja bekanntlich!“
„Was?!“
„Das sind doch wohl Dealer?!“, schreie ich mit der ganzen Kraft meiner Lungen.
„Borste dealt aber nicht mit harten Drogen!“
„Und woher willst du das wissen?“
Nick zuckt mit den Schultern. Ich hasse es, wenn er so tut, als hätte er einen guten Draht zur Kopenhagener Unterwelt. Er hat hier in Christiania ein paar Kifferfreunde, aber ansonsten ist nichts dran an seinem Gehabe. Jonathan verabschiedet Borste mit einem Homie-Handschlag, den ich bei ihm noch nie gesehen habe. Er nickt dem Schwarzen zu und steuert auf den Ausgang zu. In Bühnennähe veranstaltet der japanische Sänger Crowdsurfing auf den Händen der zehn bis zwanzig Fans, die sich dazu aufraffen können, ihn zu tragen.
Nick zerrt an mir: „Komm. Es gibt da wohl ein paar Fragen, die unser Freund uns beantworten muss.“
Jonathan steht in einem Meer aus Fahrrädern, als wir aus der Halle kommen. Nick ruft nach ihm. Er blickt kurz von seinem Fahrradschloss auf, doch für ihn sind wir anscheinend nur zwei zufällige Typen in Christiania, denn er schwingt sein Bein über den Sattel und radelt in Richtung Prinsessegade davon. Doch er strampelt so schnell, dass es verdächtig wirkt.
Er hat uns erkannt.
Nick stößt eine lange Schimpftirade aus.
Ich spüre einen wohlbekannten Stich im Magen. Genau so fühlte es sich an, als mein Vater mir zum ersten Mal mitteilte, dass er jetzt für ein halbes Jahr nach Afrika fahre, und das Gefühl kam wieder, als er es zum zweiten Mal sagte. Dazwischen war er nur zwei Monate zu Hause gewesen, und in dieser Zeit hatten wir nichts anderes getan, als uns zu streiten.
Nick schnappt sich irgendein unabgeschlossenes Fahrrad und zischt: „Wenn Jonathan glaubt, dass er uns einfach so ignorieren kann, dann hat er sich geschnitten!“
Als Liv nach Jonathans Telefonnummer gefragt hat, verpasste sie mir den gleichen, ekligen Stich im Magen. Es ist mehr als nur Wut oder Irritation. Es ist die Enttäuschung darüber, von Menschen abgewiesen zu werden, die man sehr mag. Sie demonstrieren einem knallhart, dass man nicht so wichtig ist, wie man es sich die ganze Zeit eingebildet hat.
Ich schließe mein Fahrrad auf und fahre Nick nach, der sich auf das fremde Fahrrad geworfen hat, das er anscheinend klauen will. Ich befehle meinen Beinen, die rohe Muskelkraft einzusetzen, die sie durch die vielen Treppen beim Zeitungsaustragen aufgebaut haben müssten. Trotzdem bin ich zwanzig Meter hinter Nick, der gerade ohne Rücksicht auf den kreuzenden Verkehr einen Schlenker macht und in die Prinsessegade einbiegt. Weiter entfernt hat Jonathan das Tempo inzwischen so erhöht, dass kein Zweifel mehr bestehen kann: Er flüchtet vor uns. In meiner wildesten Fantasie hätte ich mir nicht träumen lassen, dass Jonathan einmal so tun würde, als ob er mich nicht erkennt. Wir kennen einander ja schon seit dem Kindergarten. Wir konnten stundenlang miteinander spielen und waren uns selbst genug. In der Schule saßen wir nebeneinander, und nach dem Unterricht spielten wir zusammen Fuß- oder Basketball. Die ersten Jahre meines Lebens lebte ich in der völligen Gewissheit, nie einen besseren Freund finden zu können als Jonathan. Vielleicht glaube ich immer noch daran. Denn obwohl Nick seit der siebten Klasse immer mit dabei ist und unsere Freundschaft zu einem dreiblättrigen Kleeblatt erweitert hat, ist er nicht auf dieselbe Weise mein Freund wie Jonathan. Natürlich ist Nick ein fantastischer Kumpel, egal, was meine Mutter meint. Er ist ein witziger, manchmal lebensgefährlicher, aber nie langweiliger Genosse. Er kann total unzuverlässig sein, würde aber gleichzeitig sein Leben dafür riskieren, seinen Freunden zu helfen.
Aber er ist eben nicht Jonathan.
An der Erlöserkirche biegt Nick ab: „Wir fahren andersrum!“
Wir rasen quer über die Straße und weiter über die Brücke, die über den Kanal führt. Auf den Booten sind Menschen, in den Masten hängen Laternen, und vom Café am Wasser dringen die Geräusche eines lauen Sommerabends herüber. Ein vereinzeltes „Prost!“ schallt von sechs gelben Kajaks hinauf, die auf dem Kanal schaukeln.
Vor dem Café Wilders haben sich die Raucher auf der Straße breitgemacht. Ich weiche ihnen aus und fahre schräg rechts in Richtung Torvegade. Aus dem Augenwinkel sehe ich die grüne Jacke. Wir sind kurz
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