… da war'n es nur noch drei - Disconnected ; 1
genügen sie.
„Du musst heute Abend nicht auf mich warten“, sagt meine Mutter.
„Das hatte ich auch nicht vor“, antworte ich giftig.
„Mateus, sei doch nicht so.“
Mit den Zähnen ziehe ich den Korken von der Likörflasche und spucke ihn auf den Boden. „Wie denn?“
„Du bist zurzeit so feindselig. Liegt es daran, dass dein Vater zurückkommt?“
Nein, es liegt daran, dass ich um alles in der Welt wilden Sex mit einem Mädchen haben will, das leider nicht an mir interessiert ist!
Aber so etwas kann man seiner Mutter natürlich nicht erzählen, also setze ich stattdessen die Flasche an den Mund und lasse mich mit Likör volllaufen.
„Ich rufe auch an, um Bescheid zu sagen, dass ich nach der Arbeit noch zu Bente fahre. Wir essen dort zusammen.“
Wow, ein kleiner Snack bei Kollegin Bente, der langweiligsten Frau in ganz Kopenhagen.
„Das klingt aufregend“, sage ich und tausche den Likör gegen den Rum aus.
„Wir reden nur ein bisschen. Bente hat eine neue Katze.“
„Das wird ja immer wilder.“
„Jedenfalls kann es spät werden.“
„Ist schon okay. Ich gehe vielleicht auch noch weg.“
„Du? Und wohin?“
„Ich will mit Nick nach Christiania. Grüß Bente von mir.“
Ich lege auf und tätige sofort den nächsten Anruf. Sonst habe ich meine Mutter zehn Sekunden später wieder am Ohr. Nick UND Christiania! Ganze zwei risikobehaftete Dinge auf einmal.
Nick meldet sich, diesmal ohne übertriebene Fröhlichkeit. „Was willst du denn jetzt schon wieder?“
„Wollten wir nicht zu diesem Konzert?“, frage ich.
„Wo war das noch mal?“
„In Christiania. In der Grå Hal . Und wehe, du nimmst das Brønshøj-Babe mit.”
„Wen?“
„Verdammt noch mal, Nick, wir haben doch vor gerade mal fünf Stunden noch über sie gesprochen!“
„Das war eine totale Niete. Anscheinend war sie wegen irgendwas sauer. Ein geiles Gefühl, auf irgendeinem gottverlassenen Scheißweg draußen am Utterslev Mose zu stehen und nicht reingelassen zu werden.“
„Und wo bist du jetzt?“
„Zu Hause. Und Sandra treibt mich gerade in den totalen Wahnsinn.“
„Dann treffen wir uns in einer Dreiviertelstunde an der Grå Hal . Be there!”
Nachdem ich mich umgezogen habe und den restlichen Rum geleert habe, bin ich bereit. Unterwegs hebe ich 500 Kronen am Bankautomaten ab, weil ich kaum damit rechnen kann, dass Nick Geld für den Eintritt dabei hat.
Die Band spielt japanischen Punkrock, und das Publikum reicht von Punks und Gruftis bis zu Heavy-Metal-Typen und freakigen Christianitern, die aussehen, als hätten sie sich verirrt. Nick und ich gehen zur Bar. Während der Barkeeper ein paar lauwarme Getränke über den Tresen schiebt, erzähle ich ihm von Ikarus.
„Wer?“
„Ikarus. Wie der Typ aus der Mythologie.“
„Sagt mir jetzt nichts.“
Ich strenge mich an, um die Geschichte zusammenzubekommen. Mein Vater hat mir einmal ein Bilderbuch über Ikarus vorgelesen, aber das ist viele Jahre her. Nick langweilt sich bereits und lässt seinen Blick über das Publikum schweifen, um einen Ersatz für die Niete aus Brønshøj zu finden.
„Er war zusammen mit seinem Vater auf einer griechischen Insel gefangen“, erzähle ich, während ich mich langsam wieder an die Details erinnere. „Dann kam der Vater auf die Idee, dass sie sich Flügel basteln und über das Meer davonfliegen könnten.“
„Raffiniert“, sagt Nick und lächelt einem blonden Model mit drei Kilo schwarzer Schmiere um die Augen zu.
„Der Vater baute die Flügel aus Vogelfedern und Wachs, und anfangs funktionierte es auch super. Doch dann wurde Ikarus übermütig und flog zu nah an die Sonne. Das Wachs seiner Flügel schmolz, die Federn fielen aus, und er stürzte ins Meer.“
„Und dabei starb er?“
„Klar, was glaubst du denn? Der Vater entwickelt den totalen Selbsthass, denn es war immerhin seine Idee.“
Nick wendet den Blick von der Blonden ab und sieht mich an. „Der Vater kam mit dem Leben davon, aber er verlor seinen Sohn?“
„Genau.“
„Das kommt mir verdammt bekannt vor“, sagt Nick düster und trinkt.
Väter verschwinden. Sie springen in ein Flugzeug nach England, wenn ihre Zwillinge sechs Jahre alt sind, oder sie begeben sich in den Dienst der guten Sache, um ihren Sohn loszuwerden, der dreizehn Jahre alt ist und nervt. Oder sie wählen denselben Weg wie Tobias’ Prachtexemplar von Vater und hauen am Tag nach der Konfirmation ihres Sohnes ab, heiraten die Sekretärin, bekommen zwei neue Söhne und
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