… da war'n es nur noch drei - Disconnected ; 1
hatte begonnen, und wir wussten alle, wie wichtig es war, einen guten Start hinzulegen. In erster Linie durfte man sich nicht blamieren und auf keinen Fall durchfallen, an den Rand gedrängt werden oder über seine eigenen Beine stolpern. Es war ein knallhartes Spiel, und es ging in dem Moment los, als wir in der Aula standen. Zwischen den Tischen flackerten nervöse Blicke hin und her. Manche kauten sogar vor lauter Aufregung an den Fingernägeln, als Rektor Nielsen von der Gymnasialzeit als der vielleicht wichtigsten Zeit im Leben eines Menschen sprach.
Auch ich hatte zu Hause eine halbe Stunde damit rumgebracht, das passende Outfit zu finden. Der erste Eindruck ist bekanntlich der wichtigste, und ich wollte auf keinen Fall dort antanzen wie eine komplette Niete. Bei Nick kann von solchen Versagensängsten nicht die Rede sein, denn er kam eine halbe Stunde zu spät in irgendwelchen Klamotten, über die er garantiert nicht länger als die Sekunde nachgedacht hatte, die es dauerte, sie vom Boden aufzuklauben. Er durchquerte direkt vor der Bühne den Saal, sodass der Rektor seine Rede unterbrach, Nick ansah und sagte, es sei schön, dass er sich auch die Zeit nehme, hier teilzunehmen. Ein zaghaftes Lachen stieg von den Tischen auf, aber das tangierte Nick natürlich nicht im Geringsten. Er nickte dem Rektor zu und setzte sich neben mich.
Anschließend wurden die verschiedenen Klassen aufgerufen. Zwar wussten garantiert alle schon vorher, in welche Klassen sie kämen, aber es war offensichtlich Tradition, die Namen nacheinander aufzurufen, woraufhin man aufstehen und auf die Bühne gehen musste, um sich dort mit seinen neuen Klassenkameraden zu treffen. Der Nervenkitzel nahm merkbar zu. Wer würde sich noch aus der Menge der Fremden erheben? Ich drückte die Daumen, dass ein paar der Mädels dabei waren, die mir schon am Eingang positiv aufgefallen waren. Später ging mir auf, dass die Mädchen uns Jungs genauso in Augenschein genommen hatten. Nachdem die Hälfte einer der sprachlichen Klassen beisammen war, stöhnte das Mädchen neben mir, als beim nächsten Aufruf ein paar Tische weiter ein dicklicher Junge aufstand.
„Scheiße, doch nicht Lukas!“
„Ist das dieser Eklige aus deiner Parallelklasse?“, fragte ihre Freundin flüsternd.
„Ja, ich dachte eigentlich, dass ich ihn los wäre.“
Dann folgte eine Reihe von Mädchen, von denen einige auch einen leisen Kommentar abbekamen. „Helene Stenstrøm halte ich einfach nicht aus, die ist so uncool!“
„Oh nein, nicht Juliane ...“
„Dann können wir es gleich vergessen, jemals zu Wort zu kommen.“
Als Nächstes wurde Jonathans Name aufgerufen. Er stand auf und erntete ein aufrichtiges Lächeln von den beiden Lästermäulern.
Jonathan verschwand zusammen mit seiner Klasse. Er ging als Letzter, ohne mit jemandem zu reden, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Als wir uns eine halbe Stunde zuvor in der Aula verteilt hatten, hatten wir uns gesehen und beide darauf verzichtet, den anderen zu grüßen.
Die absoluten Oberstreber haben ihre Laptops rausgeholt und tippen mit, während der Lehrer, der uns in Dänisch unterrichten wird, Lehrpläne austeilt und über das Einführungsprogramm spricht.
Ich stupse Nick an. „Wie heißt der noch mal?“
„Wer?“
„Der Lehrer.“
„Keine Ahnung. Hitler?“
Ich lasse meine Blicke erneut in der Klasse herumschweifen. Es sind mehrere bekannte Gesichter dabei. Mit Tom waren wir auch in der zehnten Klasse zusammen, aber wir hatten nie viel mit ihm zu tun. Berit und Cecilie waren vorher in unserer Parallelklasse, und ich habe noch nie ein Wort mit ihnen gewechselt. Sie sehen aus, als wären sie okay, haben gleichzeitig aber auch immer schon einen etwas zu ehrgeizigen Eindruck gemacht. Und gerade schreiben sie wieder eifrig jedes Wort mit, das den Mund des Lehrers verlässt, sogar die Öffnungszeiten der Schulkantine.
Mein Blick bleibt bei Liv hängen.
Wir sind in dieselbe Klasse gekommen. Vor ein paar Wochen im Kastellet war ich nicht auf die Idee gekommen zu fragen, auf welches Gymnasium sie gehen und welche Ausrichtung siewählen würde. Irgendwie bin ich wohl davon ausgegangen, dass sie aufs Øhrgård Gymnasium oder eine andere schnieke Schule nördlich von Kopenhagen gehen würde. Zusammen mit dem Rest der Oberschicht. Als ihr Name aufgerufen wurde, war ich deshalb so überrascht, dass ich einen Schritt zurücktrat und Nick auf die Zehen trampelte. Wie konnte es sein, dass ich sie nicht schon früher
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