… da war'n es nur noch drei - Disconnected ; 1
mein Handy weg und sprinte zu Liv. Sie steht am Rand des Platzes und starrt mich an, ihre Hände klammern sich verkrampft in den Drahtzaun. In ihrem Gesicht ist keine Spur mehr von der nächtlichen Zärtlichkeit zu sehen; nur Wut und Reue. Das Letzte ist eindeutig das Schlimmste. Ihr Blick durchschneidet meinen Glückspanzer und trifft mich hart im Magen.
„Hi, Liv ...“
„Du löschst jetzt sofort diesen Status! Ist dir klar, wie viele aus der Klasse ihn schon gesehen haben?“
„Na und?“
„NA UND?! Es geht sie einen Scheiß an, was wir gestern gemacht haben.“
Ich versuche, ihre Finger zu berühren, die den Draht umklammern, aber sie zieht sie weg. Wie kann man sich so nahe sein und nach nur zwölf Stunden liegen gefühlte tausende Kilometer zwischen einem? Ihre Augen hassen mich.
„Das hätte nie passieren dürfen ...“
„Es war nicht allein meine Entscheidung“, sage ich verletzt.
„Ja, und es war ein riesiger, dummer Fehler. Ich war besoffen und wütend auf Jonathan, mehr nicht.“
„Liv ...“
„Nein, Mateus, vergiss es einfach.“ Sie hebt ihr Fahrrad auf. „Lösch sofort diesen beschissenen Status. Und dann reden wir nie wieder drüber.“
Als sie davonradelt, brülle ich ihr hinterher: „Aber es ist nun mal passiert! Daran kannst du nichts ändern!“
Blöde Tussi.
Für einen kurzen Moment hasse ich sie. Niemand hat mich bisher so hart getroffen, nichts hat so wehgetan. Ich bin ein riesiger, dummer Fehler. Sonst nichts.
Hinter mir ertönt Schranks Stimme. „Wenn ihr euer Liebesdrama jetzt beendet habt, können wir vielleicht weiterspielen?“
Ich klaube meine Sachen zusammen und renne von der Bahn. Kasper ruft mir hinterher, dass ich lieber nicht damit rechnen sollte, dass sie mir verzeiht, so sauer, wie die aussah. Aber davon abgesehen: kein schlechter Fang!
Ich lösche meine Statusmeldung, aber es ist schon zu spät, denn in den nächsten Stunden werde ich mit Kommentaren überhäuft. Es scheint, als hätten alle Menschen, die ich je kennengelernt habe, etwas zur letzten Nacht zu sagen oder zu fragen. Sogar Tobias stimmt in den Chor ein.
Findest du, dass du darauf stolz sein kannst?
So lautet sein kurzer Kommentar zu meiner Meldung. Ich lösche alles, was sich löschen lässt, und stelle mein Handy aus. Vier Stunden lang sitze ich wie versteinert vor dem Computer und starre in den Garten hinunter. Irgendwann kommt mein Vater und bittet mich, meine Tür aufzuschließen. Ich antworte nicht, aber er gibt trotzdem nicht auf. Stattdessen setzt er sichauf die Treppe und sagt, er habe Zeit zu warten, und weil es einfach zu dämlich ist, wenn der eigene Vater vor der Tür hockt, gehe ich hin und mache ihm auf.
„Was willst du?“
Will er mich jetzt etwa auch noch ausschimpfen, weil ich mit Liv gevögelt habe? Das würde mich nicht wundern. Die ganze Welt hasst mich dafür.
„Da ist was, worüber wir reden müssen.“
So viel hatte ich auch schon erraten.
Mein Vater setzt sich auf mein Bett. „Deine Mutter und ich finden, dass du wissen solltest, warum ich früher nach Hause gekommen bin. Die Wahrheit ist, dass es schon seit einiger Zeit zwischen uns kriselt.“
Er sieht mich an, doch als ich nichts antworte, muss er zum Kern der Sache vordringen, der, wie sich herausstellt, Lina heißt. Sie ist seine Kollegin, und die beiden haben mit Vaters Worten während seines letzten Aufenthalts in Afrika „zusammengefunden“. Also hat sich nicht nur meine Mutter einen Kollegen geangelt. Auch mein Vater hat jemand Neues abgestaubt. Laut meinem Vater wissen meine Eltern noch nicht genau, „was das bedeuten wird“. Vielleicht bekommen sie ihre Probleme auch wieder in den Griff. Ich habe Lust zu fragen, ob meine Mutter genauso ehrlich war und ihm von Johannes Boye Lindhardt erzählt hat, kann mich aber nicht überwinden. Für heute gehen schon genug Enthüllungen auf mein Konto.
Mein Vater steht auf. „Ich fand nur, du solltest es wissen. Du bist ja kein Kind mehr. Ich will dich nicht jeden Tag anlügen.“
Nein, kein Grund zu falscher Rücksichtnahme. Sagt nur Bescheid, wenn ihr euch für eine Scheidung entschieden habt. Damit ich mich auf ein Leben als Teilzeitkind einstellen kann.
Mein Vater verabschiedet sich mit dem unangebrachtenKommentar, dass wir uns Pizza bestellen können, wenn ich Lust hätte. Habe ich nicht. Stattdessen bleibe ich den ganzen Abend in meinem Zimmer hocken und spüre, wie mein Körper von einer merkwürdigen Mischung aus Scham und Wut erfasst wird.
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