… da war'n es nur noch drei - Disconnected ; 1
Ohne dass ich entscheiden kann, ob mit mir etwas nicht stimmt oder mit dem Rest der Welt. Vor meinem Fenster bricht schon früh die Dunkelheit herein, und die Kälte dringt vom Dach in mein Zimmer. Zum ersten Mal seit letztem Winter drehe ich die Heizung auf und lösche noch eine weitere Ansammlung von Kommentaren auf Facebook .
Jonathan ist der Einzige, von dem ich nichts gehört habe.
Am Montagnachmittag taucht die Polizei auf. Eigentlich habe ich den Tag über nicht viel an Jonathan gedacht; habe mich mehr darauf konzentriert, schlüpfrige Kommentare und neugierige Fragen zu ignorieren, und während des Unterrichts habe ich die Tische und Bücher fixiert, um Livs verheulten, wütenden Augen auszuweichen. In der Mittagspause unterziehen mich Rasmus und ein paar andere Jungs einem Verhör. Ich streite alles ab. Sie haben den Status einfach nur überinterpretiert, denn Liv und ich haben nur ein paar Stunden miteinander gequatscht, weil sie so traurig war, und dann sind wir getrennt voneinander nach Hause gefahren. Es wurmt mich zu lügen, wenn ich die Wahrheit am liebsten über alle Hausdächer rufen würde, in der ganzen Stadt plakatieren oder in Rauchschrift an den Himmel malen würde. Aber ich leugne alles und hoffe, dass Liv es am anderen Ende des Kantinentischs mitbekommt. Ich weiß auf jeden Fall, dass Nick es hört, denn er hängt den ganzen Tag in meiner Nähe herum und befiehlt mir mit Blicken: Lüg! Weil ich das Arschloch bin, das mit der Freundin des besten Freundes ins Bett gestiegen ist.
In der letzten Stunde kommen dann die beiden Polizisten in Zivil und holen uns aus dem Unterricht. Unser Dänischlehrer spricht kurz mit einem der beiden und bittet dann Nick, Liv und mich, mitzukommen. Unterwegs ist Liv kurz davor, zu stolpern, es sieht aus, als könnten ihre Beine sie plötzlich nicht mehr tragen. Doch Nick ist schnell bei ihr und stützt sie.
Sie sprechen zuerst mit Liv. Währenddessen warten Nick und ich und schweigen uns an. Nach einer halben Stunde kommt Liv aus einem der Büroräume der Schule. Schluchzend. Eine Polizistin führt sie den Flur entlang und sagt, dass sie jetzt gemeinsam mit ihr ins Revier fahren würde, um dort etwas ausführlicher mit ihr zu reden, und dann könne sie ihre Eltern anrufen.
Ich werde als Nächster hereingerufen. Die beiden Kriminalbeamten stellen eine Reihe von Fragen, und ich bestätige, dass ich Jonathan kenne und gemeinsam mit Liv bei der Party am Freitag mit ihm sprach, bevor er das Gebäude gegen halb zwölf verließ.
Das war das letzte Mal, dass er gesehen wurde.
Lars und Hannah haben seit Freitagvormittag, als er für ein paar Stunden zu Hause war, nichts mehr von ihm gehört. Auf seinem Handy konnten sie ihn auch nicht erreichen. Ich hole mein eigenes Handy aus der Tasche und berichte, dass ich gestern eine SMS von Hannah bekam, in der sie mich fragte, ob Jonathan bei mir wäre. Einer der Cops sagt, dass Jonathans Handy seit Freitagabend ausgeschaltet ist. Also haben sie auch keine Möglichkeit, ihn zu orten. Davon abgesehen rechnen sie aber auch damit, dass er bald wieder auftaucht. Jedenfalls ist das meistens der Fall bei Leuten, die vermisst gemeldet werden. Nach dieser kurzen Aufmunterung stellen sie mir eine lange Reihe von Fragen. Ich beantworte sie alle. Sie erfahren, dass ich Jonathan schon seit vielen Jahren kenne, ihn in den letzten Wochen aber wenig zu Gesicht bekommen habe. Ich erzähle von dem Überfall vor einem Monat und unserem nächtlichen Besuch im Krankenhaus. Ich plaudere auch über sein verändertes Verhalten in diesem Sommer; nicht zuletzt über seine Paranoia, und wie schlecht er seine Eltern, Freunde und seine Freundin behandelt hat. Eigentlich erzähle ich ihnen alles, bis auf die Sache mit Borste und Afro, denn das traue ich mich nicht. Als mich der eine Bulle am Ende fragt, wo Jonathan meiner Meinung nach sei, zucke ich mit den Schultern und sage, dass ich keine Ahnung habe.
„Glaubst du, er könnte auf die Idee kommen, sich selbst Schaden zuzufügen?“
„Sie meinen Selbstmord begehen?“
„Oder es versuchen?“
„Nein, das glaube ich nicht.“
„Als er auf der Party war, hatte er da eine Verletzung?“
Ich nicke und erzähle von der Verletzung an seinem Oberarm und dem Blut an meiner Hand. „Er sagte, er wäre in einen Zaun gerauscht.“
„Und, glaubst du daran?“
Ich zucke mit den Schultern. „Vielleicht.“
„Hatte er nur einen Pullover an? Keine Jacke?“
„Ja.“
„Warum trug er keine
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