Daddy Uncool
Zeitungen für alle Kunden kaufe«, sagte ich. »Leute kommen hierher und blättern sie durch.«
Kenny sah mich sichtlich gelangweilt an.
»Nun, Kenny, ich hoffe, dass du fähig bist, der Versuchung zu widerstehen, das Kreuzworträtsel auszufüllen. Und ich hoffe auch, dass du die Zeitung zurücklegst, nachdem du sie gelesen hast. Ich denke, nach zwanzig Minuten spätestens. Klingt doch fair. Was denkst du?«
Kenny sah mich weiter an, seine Augen waren Halbmonde der Langeweile.
»Du möchtest, dass ich die Zeitungen nur zwanzig Minuten lang lese?«
»Pro Zeitung«, stellte ich klar. Ich kam mir wie ein verdammter Bulle vor.
Es entstand eine kurze Pause.
»Aber was soll ich dann den Rest des Tages tun?«, fragte Kenny. »Ich meine, ich habe einen aktiven Geist. Ich brauche Anreize. Und das Kreuzworträtsel …«
Seine Stimme verlor sich.
»Das kommt mir doch sehr drakonisch vor. Ich denke, wir leben doch nicht in einem Polizeistaat, oder?«
»Nein, nein«, sagte ich, »kein Polizeistaat, aber ich muss auch an die anderen Kunden denken … Du weißt schon, die zahlenden Kunden.«
»Warte mal«, sagte Kenny. »Glaubst du … denkst du … ich glaube, ich muss das erklären, Kumpel. Die Abmachung, die Mel und ich haben, besagt, dass alles, was ich hier esse oder trinke, am Ende der Woche von ihrem Lohn abgezogen wird.«
Das war neu für mich.
»Hat sie dir das nicht gesagt?«, fragte Kenny mit überraschtem Gesichtsausdruck.
»Nein«, erwiderte ich. Dieser Kerl war ein hartes Stück Arbeit.
»Gut, ich werde mit ihr darüber reden«, sagte Kenny und schlug die Zeitung auf, ein Bild der Entrüstung.
»Mach das«, sagte ich und nahm seinen leeren Becher weg. Ich wartete darauf, dass er ein neues Getränk
bestellte. Es hätte mir einen Vorwand gegeben, ihm den Becher an den Kopf zu werfen.
Ich wollte Kenny nicht das Gefühl geben, unwillkommen zu sein (na ja, jedenfalls nicht völlig), und ich wollte auf gar keinen Fall ein Problem mit der schönen Mel heraufbeschwören, aber ich war doch zufrieden, ein paar Grenzen im Kneipenwirt-Stil gesetzt zu haben. Das Einzige, was mich an der Sache störte, war die Art, in der mir Kenny zu verstehen gab, dass er mich für einen Spießer hielt, den weißesten Mann in der weißesten englischen Stadt. Ich wette, er konnte nicht alle Mitglieder der Juice Crew nennen (Marley Marl, Mr Magic, MC Shan, Big Daddy Kane, Biz Markie, Craig G, Intelligent Hoodlum, Kool G Rap and DJ Polo, Master Ace, Roxanne Shante, T.J. Swan und Cool V), und er hatte bestimmt auch keine White-Label-Ausgabe von Mass Orders Take Me Away oder kannte jedes einzelne Wort der Twelve-Inch-Version von Rapper’s Delight .
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Mel, als ich zum Tresen zurückkam.
»Ja«, erwiderte ich.
»Es ist nur, weil ich dachte … Na ja, ist es in Ordnung, wenn Kenny so viel hier im Laden ist? Er hat kürzlich eine schlechte Zeit gehabt. Ich bin mir nicht sicher, ob er weiß, wie er sich selbst beschäftigen soll.«
»Was macht er denn sonst?« Ich musste an meinem Tonfall arbeiten. Wieder einmal klang ich aggressiver als beabsichtigt.
»Er ist Musiker.«
»Wirklich?«
Ich musste etwas ungläubig geklungen haben.
»Er ist wirklich gut«, sagte Mel zurückhaltend. »Damals, in den Achtzigern, hat er eine Menge im Studio gearbeitet.«
»Vermutlich bist du dennoch zu jung, um einen der Songs zu kennen.«
»Nein, er hat mir eine Menge davon vorgespielt«, sagte sie. »Kennst du die Gitarre bei Sowing The Seeds Of Love ? Das war Kenny. Und kennst du das Schlagzeugsolo bei In The Air Tonight ? Phil Collins bat Kenny, es zu machen.«
»Oh, wirklich«, sagte ich. Ich wusste nicht, ob Mel diese erfundenen Geschichten wirklich glaubte oder ob sie ihn nur in Schutz nehmen wollte.
»Spielt er noch immer?«
»Ja«, erwiderte Mel. Sie nahm Becher und Teller aus der Spüle und begann, sie in den Geschirrspüler zu räumen. »Im Augenblick schreibt er hauptsächlich. Er braucht Zeit, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.«
Einen klaren Kopf und einen anständigen Haarschnitt, dachte ich für mich.
»Hör mal«, sagte ich. Mel hörte mit dem Einräumen auf. »Was Kenny angeht«, begann ich, wurde aber von Caitlin unterbrochen, die in den Küchenbereich kam.
»Ist es so richtig, wie ich das mache?«, fragte sie. Sie versuchte, eine Bean-&-Gone-Schürze um ihre Taille zu binden. Mel ging zu ihr und richtete die Schürze, wickelte die Bänder zweimal um ihre Taille und machte eine
Weitere Kostenlose Bücher