Dämenkind 2 - Kind der Götter
könne sie zurückrufen. Sobald sie einen Blick über die Schulter zu werfen wagte, sah sie jedoch, dass er inzwischen zu einem Haufen echter Fledderer stapfte. Sie stieß den Atem aus, als sie merkte, dass er ihr stockte, und heftete den Blick missfällig auf Mikel.
»Das war sehr edel von dir, allerdings auch überaus töricht. Mäßige künftig deinen begeisterungsvollen Drang, mich unter deinen Schutz zu stellen.«
»Aber Eure Hoheit, ich …«
»Rede mich nicht so an!«, zischte Adina ihm zu. »Du musst mich Adrina nennen. Wenigstens bis wir aus
dieser Gegend fort sind. Schließlich wollen wir nirgends auffallen.«
»Um Vergebung, Eure … Adrina.«
»So ist es klug. Hüte von nun an deine Zunge.«
»Euer Vorwurf, glaube ich, ist ein wenig ungerecht«, äußerte Tamylan, die an Adrinas Seite über das Schlachtfeld wankte.
»Inwiefern?«
»Eben erst habt Ihr einem feindlichen Krieger Euren wahren Namen verraten, und doch scheltet Ihr den Jungen, weil er Euch beschützen möchte.«
Einige Augenblicke lang starrte Adrina der Sklavin ins Gesicht, ohne sich darüber sicher zu werden, was sie am stärksten verdutzte – Tamylans offenherziger Tadel oder die eigene Dummheit.
»Ich habe nicht bedacht …«
»Eure Gedankenlosigkeit ist es, die uns in dieses Unheil getrieben hat«, erklärte Tamylan verdrossen. »Erst denkt Ihr nicht nach, sondern glaubt, Ihr könntet ein Schiff steuern. Dann denkt Ihr wieder nicht nach und beleidigt den karischen Kronprinzen. Und dann denkt Ihr abermals nicht nach und führt uns mitten in der Nacht über ein Schlachtfeld …«
»Es reicht, Tamylan. Du vergisst dich.«
»Nicht so oft wie Ihr«, murmelte die Sklavin; zwar unterdrückt, aber immerhin so laut, dass Adrina es hören konnte.
Fast war der Morgen angebrochen, als sie die letzten Gefallenen des Gemetzels hinter sich ließen; jedoch währte Adrinas Erleichterung nur kurz. Auf der Walstatt waren sie nahezu ausschließlich Toten begegnet. Nun mussten sie durch die Reihen der Medaloner und Hythrier gelangen, die am Leben waren und bei denen vermutlich höchste Wachsamkeit waltete.
Adrina und ihre Begleitung schwangen sich in den Sattel und mischten sich unter die verstreute Menschenmenge, die gegenwärtig von der Walstatt strömte. Mit ein wenig Glück blieben sie inmitten des buntscheckigen Trosses unbeachtet und konnten das Weite suchen. Manche Leute streiften sie mit neidischen Blicken. Sie ritten fardohnjische Pferde, doch hatte sich Adrina überlegt, falls irgendwer sie darauf ansprach, die Behauptung zu wagen, sie hätten die Tiere vom Schlachtfeld geholt.
Erstes Tageslicht verlieh dem Himmel einen zinngrauen Schimmer, als Adrina, Tamylan und Mikel dem Schlachtfeld endlich vollends den Rücken zukehren durften. Hundemüde, hungrig, durstig und zermürbt ritten sie langsam zwischen den Plünderern und gehfähigen Verwundeten dahin. Voraus lagen das Heerlager sowie die Zeltstadt der Trossangehörigen; dahinter standen ihnen noch ein, zwei Wochen der Reise bis zum Gläsernen Fluss bevor. Blieb das Glück ihnen treu, ankerte dort ein fardohnjischer Schiffer, um am Krieg zu verdienen, solange sich König Hablet noch nicht eingemischt hatte und die Medaloner nicht als Feinde galten.
Niemand hielt sie auf, ja anscheinend scherte sich überhaupt kein Mensch um sie. Nur ein einziges Mal erweckte etwas die Beachtung der Leute, nämlich ein Mann und eine Frau, die auf prachtvollen, goldbraunen Rössern vorbeigaloppierten. Beide saßen aufrecht im
Sattel und ritten die herrlichen Tiere mit der Leichtigkeit jener Zeitgenossen, die zum Reiten geboren sind. Die junge Frau trug düsteres ledernes Reitzeug, das an die Art erinnerte, wie alte Wandgehänge Harshini abbildeten. Ihr dunkelrotes Haar war zu einem dicken, langen Zopf geflochten, und sowohl sie wie auch ihr Begleiter hatten grimmige Mienen. Während sie vorübersprengten, sanken etliche Menschen aufs Knie, doch sie schenkten ihnen keine Beachtung.
Adrina schaute Mikel an, der im Sattel döste. »Mikel, weißt du, wer diese Reiter sind?«
»Wer, Eure … Adrina?«
»Der Mann und die Frau, die man soeben vorbeireiten sehen konnte.«
Mikel zwinkerte in die Richtung der zwei Berittenen, die indessen schon in der Ferne entschwanden, und schüttelte den Kopf. »Verzeiht mir, Eure … Adrina. Ich habe sie nicht bemerkt.«
»Einerlei.«
Adrina verdrängte das Paar aus ihren Gedanken und traute sich einen letzten Blick über die Schulter zu werfen, ehe sie die Augen
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