Dämenkind 2 - Kind der Götter
Kastell führte, grübelte Damin über Adrinas widersprüchliches Handeln nach. Kaltblütig hatte sie einst die Ermordung des hythrischen Großfürsten geplant, jetzt hingegen dem Rest ihres Regiments befohlen, die Waffen niederzulegen, anstatt hinzunehmen, dass zusätzliches Unheil die Männer ereilte. Plötzlich war er sehr froh darüber, nicht mehr bis zur Tür der Prinzessin gelangt zu sein.
Er hatte das Gefühl, dass man vor Ihre Durchlaucht, Prinzessin Adrina von Fardohnja, ausschließlich in einer Verfassung treten durfte, wenn einem das Leben lieb war: nämlich stocknüchtern.
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OBGLEICH DIE ENTDECKUNG durch die Medaloner von Anfang an eine Gefahr gewesen war, hatte sich Adrina eigentlich nicht darauf eingestellt; deshalb war sie jetzt unvorbereitet auf die unerwartete Veränderung der Umstände.
Zwei Tage lang schritt sie voller Ungeduld in ihrem Gefängnis hin und her und wartete auf das Kommende. Wortkarge Hüter mit grimmigen Gesichtern brachten regelmäßig Mahlzeiten, verweigerten es jedoch, irgendwelche Fragen zu beantworten. Jedes zaghafte Lächeln voller banger Verzweiflung – die Vorstufe zu einem vertraulicheren Verkehr mit den Wachen – erwies sich als vergebliche Mühe. Jede Schicht bestand aus neuen Männern, die sie nach dem Wachwechsel nie wieder sah. Nicht einmal Tamylan durfte die Kammer verlassen, doch erregte die Sklavin den Eindruck, unter der Gefangenschaft weit weniger als Adrina zu leiden. Nach und nach zerrüttete das Warten Adrinas Gemüt, und nach einiger Zeit musste sie notgedrungen die Klugheit ihrer Gegenspieler höher als zuvor einschätzen: Sie waren schlauer, als sie angenommen hatte.
Der einzige Vorteil ihrer Absonderung bestand in der Möglichkeit, ihre Pläne hinsichtlich des Umgangs mit den Medalonern eingehender zu durchdenken. Ihre größte Schwierigkeit, so gestand sie sich ohne Zaudern
ein, verkörperte Damin Wulfskling. Immer hatte sie ihn sich als Laffen ausgemalt, gepudert und affig, so wie sein Onkel daran gewöhnt, sich jede Schrulle erlauben zu können. Sicherlich hatte sie gewusst, dass er als Fürst seiner Provinz einen kriegerischen Ruf genoss, ihm aber unterstellt, er sei nur ein Strohmann – ein Geck in einer Prunkrüstung, der auf einem schmucken Hengst saß, während echte Kriegsleute das raue Handwerk erledigten. Damit hatte sie sich jedoch ein vollkommen falsches Bild gemacht. Ohne den geringsten Zweifel zeichnete er sich durch wesentlich entschiedeneren Ehrgeiz als sein Onkel aus, und unzweideutig war er sich völlig dessen sicher, welcher Rang ihm in der Welt gebührte.
Dennoch blieb auch er, wie Adrina sich verdeutlichte, nur ein Mensch, und obendrein ein Wulfskling. Jeder Angehörige der Wulfskling-Sippe war von Geburt an unheilbar verdorben, sodass die Unterschiede zwischen ihm und seinem Onkel allenfalls vordergründiger Natur sein konnten.
Hauptmann Tarjanian Tenragan dagegen hatte für sie eine angenehme Überraschung bedeutet. Angesichts seines mannhaft schönen Äußeren, des schwarzen Haarschopfs und des bemerkenswert höflichen Auftretens empfand sie schlimmstenfalls noch seine feindselige Haltung gegenüber dem armen Mikel als tadelnswert. Offenbar brachte man ihm im Heerlager große Achtung entgegen, und seine Meinung mochte bei Medalons Oberstem Reichshüter, sobald man über ihr Schicksal bestimmte, maßgebliches Gewicht haben. Sollte es ihr gelingen, mit ihm unter vier Augen zu reden,
hielt sie es für ausgemacht, dass sie ihn dazu brachte, sich ihrer Sicht der Lage anzuschließen.
Indessen sprachen gute Gründe dagegen, sich mit Damin Wulfskling auf ein so gefahrenreiches Spiel einzulassen. Erstens war er ein hythrischer Kriegsherr, und während niemand Hochgestelltes es als verwerflich ansah, sich mit Männern oder Frauen des gemeinen Volkes zu vergnügen, lösten Liebschaften zwischen Mitgliedern des Adels Missfallen aus. An derartige Verwicklungen durfte man, wenn die Beteiligten der Erbe des hythrischen Großfürstenthrons und die älteste Tochter des fardohnjischen Königs waren, nicht einmal zu denken wagen. Der zweite und viel bedeutsamere Grund war allerdings, dass Hauptmann Tenragan durch Adrinas ausgeklügelte, von Court'esa erlernte Künste in der Wollust wahrscheinlich verführt werden konnte, wogegen Wulfskling ihre Absichten gewiss sofort durchschaute. Wahrscheinlich hatte er schon eine Court'esa zum Kindermädchen gehabt.
Nein, auf ein so gefährliches Spielchen gedachte Adrina sich nicht einzulassen.
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